Abfuhr an Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg

Die Politik der EU in der Nato wird von US-Präsident Biden nicht erst genommen. Die Drohungen  während der Amtszeit der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gehen in die falsche Richtung. Zwar hat  EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Russland zur Deeskalation im Konflikt mit der Ukraine aufgerufen. Dabei wurde sie sehr deutlich. Geichzeitig Russland mit Atomwaffen zu drohen ist ein Schuss nach hinten und trägt  nicht zur Deeskalation  zwischen Russland und dem Westen bei (siehe auch Artikel „Der Wortbruch…“
Washington sucht die Führung über die Verhandlungen im Ukraine-Konflikt zu übernehmen. Berlin, das bislang das „Normandie-Format“ dominierte, würde damit zweitrangig.

BERLIN/WASHINGTON/MOSKAU (german-foreign- Bericht) – Berlin droht die Führung über die Verhandlungen im Ukraine-Konflikt zu verlieren und steht damit vor einer neuen Niederlage im Einflusskampf gegen Washington. Hintergrund ist, dass US-Präsident Joe Biden in der vergangenen Woche angekündigt hat, Washington werde seinerseits Gespräche mit Moskau aufnehmen, um „die Temperatur an der östlichen Front zu senken“. Dies hat zu wütenden Reaktionen geführt: Der Plan sei für Brüssel, das nicht eingebunden sei, „eine gewaltige Demütigung“, gegen die die EU „in aller Härte ihren Gestaltungsanspruch deutlich machen“ müsse, hieß es in einer führenden deutschen Tageszeitung. Außenministerin Annalena Baerbock hat auf dem Treffen mit ihren G7-Amtskollegen für den Vorrang des bisherigen „Normandie-Formats“ geworben, in dem Berlin die Führung innehat. Baerbock hatte keinen Erfolg: Heute startet eine Spitzenfunktionärin des US-Außenministeriums Gespräche in Moskau und in Kiew. Washington, das Berlin damit die Führung in Osteuropa aus der Hand nimmt, hat Paris bereits im September die Chance zu eigenständigen Initiativen im Pazifik entwendet – mit dem AUKUS-Pakt.

Kein Erfolg im „Krisengürtel“

Vor einer Niederlage in der Rivalität mit den USA steht die Bundesrepublik bei den Verhandlungen im Ukraine-Konflikt. Die Verhandlungen werden seit mehr als sieben Jahren im „Normandie-Format“ geführt, an dem die Vereinigten Staaten nicht beteiligt sind; damit hat auf westlicher Seite Deutschland die dominierende Rolle in den Gesprächen inne. Für die Bundesregierung war dies Teil des Plans, die US-Fokussierung auf den Machtkampf gegen China zu nutzen, um im „Krisengürtel“ rings um die EU – von Nordafrika über Nah- und Mittelost bis Osteuropa – die politische Führung zu übernehmen (german-foreign-policy.com berichtete ). Der Plan hat bislang weder in Afrika (Mali, Libyen) noch in Nah- und Mittelost (Syrien, Libanon) zum Erfolg geführt. Auch im Ukraine-Konflikt ist es Berlin nicht gelungen, einen Durchbruch zu erzielen. Zuletzt hat Russland schwere Vorwürfe gegen die Verhandlungsführung Deutschlands und Frankreichs erhoben und, um seinem Protest Nachdruck zu verleihen, einen Teil des Briefwechsels zwischen den Außenministern der drei Länder öffentlich gemacht – ein außergewöhnlicher Tabubruch, der eine Rückkehr zum „Normandie-Format“ für Berlin und Paris eigentlich erheblich erschwert.

„Die Temperatur an der östlichen Front“

In der vergangenen Woche haben zudem Washington und Moskau die Weichen neu gestellt. In der russischen Hauptstadt hieß es zunächst, man könne sich eine Beteiligung der USA am „Normandie-Format“ vorstellen. Ohnehin hänge im Ukraine-Konflikt „eine Menge von der Position Washingtons ab“, konstatierte ein hochrangiger Beamter des Außenministeriums in Moskau im Hinblick darauf, dass die Vereinigten Staaten nach wie vor entscheidenden Einfluss auf die ukrainische Regierung besitzen: Man sei stets offen dafür gewesen, „dass Amerika seinen Einfluss in Kiew geltend macht“. Am vergangenen Mittwoch bestätigte dann US-Präsident Joe Biden, Washington wolle – ein Ergebnis des bilateralen Videogipfels vom Tag zuvor – ausführliche Gespräche mit Moskau über den Ukraine-Konflikt führen; dabei werde man auch über die von Russland geäußerten „Bedenken bezüglich der NATO“ diskutieren.  Ziel sei, „Übereinkünfte“ zu treffen, um „die Temperatur an der östlichen Front zu senken“. Kommen die Gespräche zustande, wäre die deutsche Führungsrolle in den Verhandlungen zur Beilegung des Ukraine-Konflikts dahin. Biden stellte zwar in Aussicht, vier oder sogar mehr NATO-Staaten könnten eingebunden werden. Für Berlin bliebe damit trotzdem nur eine nachgeordnete Position – hinter Washington.

„Eine gewaltige Demütigung“

Bidens Ankündigung hat in deutschen Leitmedien wütende Kommentare ausgelöst. „Sollte dieser Plan umgesetzt werden“, schrieb etwa Stefan Kornelius, langjähriger Außenpolitik-Ressortleiter der einflussreichen Süddeutschen Zeitung, „muss sich die Europäische Union auf eine gewaltige Demütigung einstellen: eine Konferenz über die Sicherheit der Staaten Europas – ohne die Staatengemeinschaft Europas“. „Diese Zeitreise“, schrieb Kornelius weiter, „führt schnurgerade zurück in die Nachkriegszeit und damit in den Kalten Krieg.“ „Europa“, aber auch die Ukraine und die belarussische Opposition seien „deutlich weiter in ihrem Selbstverständnis von Sicherheit und Ordnung, als dass sie sich von zwei Herren in Moskau und Washington in ein altes Korsett zwängen lassen müssten“. Die Präsidenten Russlands und der Vereinigten Staaten folgten „der großmachttypischen Vorstellung, Weltpolitik per Federstrich lösen zu können“. Die EU müsse dagegen „in aller Härte ihren Gestaltungsanspruch deutlich machen“, sofern sie sich „nicht von einer US-Idee marginalisieren lassen“ wolle, die „schon beim nächsten Trump-Sieg wertlos sein wird“.

Washington prescht vor

Außenministerin Annalena Baerbock hat sich am Wochenende auf dem Treffen mit ihren G7-Amtskollegen gegen das US-Vorhaben ausgesprochen. Die Anwesenden – US-Außenminister Antony Blinken inklusive – seien sich „einig“ gewesen, so wurde berichtet, die „wichtigsten Gesprächsformate“ für den Ukraine-Konflikt seien das „Normandie-Format“, der NATO-Russland-Rat oder auch die OSZE. Baerbock wurde darüber hinaus mit der Äußerung zitiert: „Mit ganzer Kraft versuchen wir, die Verhandlungen mit Russland wieder aufzunehmen.“  Die Einladung zu einem nächsten Treffen im Normandie-Format liege „seit Wochen, seit Monaten auf dem Tisch“. Von einem Erfolg ist bislang nichts bekannt. Stattdessen soll die Europabeauftragte des US-Außenministeriums, Karen Donfried, vom heutigen Montag bis zum Mittwoch Verhandlungen in Moskau und Kiew mit hochrangigen Vertretern der Regierungen Russlands und der Ukraine führen; daran anschließend wird sie in Brüssel mit Vertretern von NATO und EU über den Stand der Dinge diskutieren. Damit haben die Vereinigten Staaten in den Gesprächen zur Lösung des Ukraine-Konflikts wieder die unmittelbare Führung in der Hand.

Den Aufmarsch steuern

Die Ukraine-Gespräche sind nicht das erste aktuelle Beispiel dafür, dass Washington den Staaten Europas die Zügel zielgerichtet aus der Hand nimmt. Ähnliches erlebte Frankreich Mitte September, als die Vereinigten Staaten mit Australien und Großbritannien den AUKUS-Pakt schloss. Vorher hatte Paris seine „Strategische Partnerschaft“ mit Canberra systematisch ausgebaut; Symbol dafür war ein 56 Milliarden Euro teures U-Boot-Geschäft (german-foreign-policy.com berichtete . Frankreichs Ziel war es, im Pazifik – gestützt nicht nur auf das Bündnis mit Australien, sondern zudem auf seine pazifischen Kolonien – eine eigenständige Politik zu verfolgen. Diese haben die USA mit dem AUKUS-Pakt praktisch zerschlagen und ihre alleinige Führungsrolle über die westlichen Aktivitäten im Pazifik klargestellt. Dies optimiert ihre Möglichkeiten, den Aufmarsch gegen China zu steuern. Eine Führungsrolle in den Gesprächen über den Ukraine-Konflikt wiederum böte ihnen die Chance, die Spannungen in Europa zu regeln – und gegebenenfalls auch zu deeskalieren, um sich voll und ganz dem Machtkampf gegen China zu widmen, ohne eine unerwünschte Ablenkung an der „östlichen Front.