Das Jahr 1933 – Vom Faschismus als Bewegung zum Faschismus an der Macht

 

 

Am 23.3.1933 tritt das Ermächtigungsgesetz in Kraft.

Die Abgeordneten der NSDAP und insgesamt sieben weiterer Parteien nahmen das Ermächtigungsgesetz mit 444 Stimmen („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“) an. Damit war die zentrale Voraussetzung für den systematischen Übergang von der Demokratie in die nationalsozialistische Diktatur geschaffen. Die 94 anwesenden Abgeordneten der SPD stimmten ungeachtet der massiven Drohungen als einzige Fraktion geschlossen gegen die Selbstentmachtung des Parlaments.
„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“
Die Krolloper, in der aufgrund des Interner Link: Reichstagsbrands
die Sitzung des Parlaments stattfand, wurde von SA- und SS-Mitgliedern bewacht, um die Abgeordneten einzuschüchtern. Der Sitzungssaal war zudem erstmals mit einer großen Hakenkreuzfahne „geschmückt“.
26 Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) waren bereits verhaftet oder geflohen und konnten nicht an der Abstimmung teilnehmen. Die 81 Abgeordneten der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) konnten ebenfalls nicht mit abstimmen, da ihre Mandate kurz nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar annulliert worden waren.

Der SPD-Parteivorsitzende Otto Wels hatte vor der Abstimmung stellvertretend für seine Fraktion in einer emotionalen Rede ein Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie abgelegt: „Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus.“ Wels erkannte im Ermächtigungsgesetz die Entmachtung des Parlaments und warnte die Abgeordneten eindrücklich vor den Folgen seiner Annahme: „Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll.“
Er verband seine Ablehnung des Gesetzes mit einer Verteidigung der Interner Link: Weimarer Verfassung
sowie einem Angebot an die anderen Fraktionen: „Die Verfassung von Weimar ist keine sozialistische Verfassung. Aber wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, die in ihr festgelegt sind.“ Doch das Angebot zur Zusammenarbeit der Demokraten lehnten die im Reichstag verbliebenen Parteien ab.
„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“. Dieser Satz aus Otto Wels Rede erlangte besondere Bedeutung und sollte in den folgenden Wochen und Monaten für viele der von den Nazis Verfolgten traurige Realität werden. Wels Worte waren die letzten freien, die für die nächsten 13 Jahre in einem deutschen Parlament gesprochen wurden.
Rede von Otto Wels (SPD)

[…] Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. […] Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, daß sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. […] Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht, und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. Eine solche Allmacht der Regierung muß sich um so schwerer auswirken, als auch die Presse jeder Bewegungsfreiheit entbehrt. […]
Wir haben gleiches Recht für alle und ein soziales Arbeitsrecht geschaffen. Wir haben geholfen, ein Deutschland zu schaffen, in dem nicht nur Fürsten und Baronen, sondern auch Männern aus der Arbeiterklasse der Weg zur Führung des Staates offen steht. Davon können Sie nicht zurück, ohne Ihren eigenen Führer preiszugeben. Vergeblich wird der Versuch bleiben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
[…] Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. […] Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen.
Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft.

Bayerische Staatsbibliothek: Externer Link: www.reichstagsprotokolle.de

Erwiderung Adolf Hitlers

[…] Sie sind wehleidig, meine Herren, und nicht für die heutige Zeit bestimmt, wenn Sie jetzt schon von Verfolgungen sprechen. […] Auch Ihre Stunde hat geschlagen, und nur, weil wir Deutschland sehen und seine Not und die Notwendigkeit des nationalen Lebens, appellieren wir in dieser Stunde an den Deutschen Reichstag, uns zu genehmigen, was wir auch ohnedem hätten nehmen können. […]
Ich glaube, daß Sie (zu den Sozialdemokraten) für dieses Gesetz nicht stimmen, weil Ihnen Ihrer innersten Mentalität nach die Absicht unbegreiflich ist, die uns dabei beseelt. […] Und ich kann Ihnen nur sagen: Ich will auch gar nicht, daß Sie dafür stimmen! Deutschland soll frei werden, aber nicht durch Sie!

Bayerische Staatsbibliothek: Externer Link: www.reichstagsprotokolle.de

 

 

Eine dreiteilige Online-Veranstaltungsreihe der VVN-BdA

1. Veranstaltung 24.01., 19-21 Uhr: Warum die „Machtergreifung“ eine Machtübertragung war

Am 30. Januar 1933 ernannte der Reichpräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler und übertrug ihm damit die Führung einer Koalitionsregierung unter Einschluss der NSDAP. Damit war er einer der wichtigsten Wegbereiter des deutschen Faschismus. Was darauf folgte, wissen wir alle.

Wer heute den Verbrechen der Nazis gedenkt, muss auch diesen verhängnisvollen Tag vor 90 Jahren mitdenken, denn die Erforschung von Ursachen und Herkunft des Faschismus sind notwendige Bestandteile jeder Erinnerungsarbeit.

Damit der Faschismus in Deutschland die Macht erhalten und diese im Laufe des Jahres 1933 festigen konnte, brauchte es dreierlei:

  • Steigbügelhalter von oben, die bereit und in der Lage waren, die Nazis mit finanziellen Mitteln auszustatten und in jene machtvollen Positionen zu hieven, die sie zur Durchsetzung ihres Herrschaftsanspruchs benötigten
  • Eine rechte Massenbewegung, die der Menschenverachtung der Nazis zustimmte und sich von ihrer Herrschaft eigene Vorteile versprach
  • Gewalt und Terror gegen politische Gegner*innen, um den organisierten Widerstand zu brechen und jede Opposition unmöglich zu machen

In unserer Online-Veranstaltung wollen wir uns anlässlich des 90. Jahres nach der faschistischen Machtübernahme in Deutschland den Fragen widmen: Wie konnte es zur Selbstaufgabe der Weimarer Republik kommen? Welche Weichen wurden bereits vor dem 30. Januar 1933 gestellt und was veranlasste konservative Politiker*innen, wirtschaftliche Eliten und führende Militärs dazu, auf Hitler zu setzen?

Gemeinsam diskutieren wir außerdem, wie wir unheilvollen Allianzen heute entgegentreten können.

Eine Online-Veranstaltung der VVN-BdA mit einem Vortrag des Historikers und VVN-BdA Bundessprechers Dr. Ulrich Schneider

Wann: 24.01., 19-21 Uhr
Zoom-Link: https://us06web.zoom.us/j/89364973163?pwd=aFBpSUNMWmVobzBPZ2JLcWxmUkgrZz09

Meeting-ID: 893 6497 3163
Kenncode: 444168

Ulrich Schneider ist Historiker, Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer/ Bund der Antifaschisten (FIR) sowie seit vielen Jahren einer der Bundessprecher der VVN-BdA e.V. Außerdem ist er Autor des kürzlich erschienen Buches „Der Weg ins Dritte Reich – 1933. Analysen und Dokumente zur Errichtung der NS-Herrschaft“, ISBN 978-3-89438-794-5

Die Veranstaltung ist die erste unserer dreiteiligen Veranstaltungsreihe „Das Jahr 1933 – vom Faschismus als Bewegung zum Faschismus an der Macht“

Mehr Infos zum Thema: www.dasjahr1933.de

1933, Machtübertragung