Die Vereinten Nationen haben bei dem Versuch, die Hungerkrise abzuwenden, die sowohl wegen des Ukraine-Kriegs als auch wegen der westlichen Sanktionen weltweit droht, in der vergangenen Woche spürbar Fortschritte erzielt. UN-Generalsekretär António Guterres verfolgt erklärtermaßen das Ziel, „die ukrainische Nahrungsmittelproduktion“ sowie „die Nahrungs- und Düngemittel, die von Russland und von Belarus hergestellt werden“, gleichermaßen „in die Weltmärkte zu reintegrieren“. Tatsächlich ist beides nötig, soll die globale Nahrungsmittelversorgung sichergestellt werden. Die Ukraine lieferte zuletzt rund 10 Prozent der globalen Weizen- und Gerste- sowie gut 16 Prozent der Maisexporte; Russland wiederum ist größter Weizenexporteur, während Russland und Belarus zusammen rund 40 Prozent der globalen Ausfuhr von Kalisalzen tätigten, die für die Herstellung von Düngemitteln erforderlich sind. Ohne Düngemittel wird die nächste Ernte nicht ausreichen, um die Welt mit genügend Nahrungsmitteln zu versorgen. Darin hat der Ansatz, dem die Vereinten Nationen seit Beginn des Ukraine-Kriegs folgen – außer ukrainischen auch russische und belarussische Exporte wieder zu ermöglichen –, seinen Grund.
Lösung in Sicht
Eine Lösung zeichnet sich aktuell für den Export von Weizen aus der Ukraine ab, der traditionell zu mehr als 95 Prozent über das Schwarze Meer abgewickelt wird. Dem stehen zur Zeit mehrere Hindernisse im Weg. Zum einen sind die ukrainischen Häfen entweder von Russland besetzt oder werden von der russischen Marine blockiert. Zum anderen hat die ukrainische Marine, um russische Angriffe von See her zu verhindern, die Küstengewässer vermint. Erst UNCTAD-Generalsekretärin Rebeca Grynspan, dann UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths haben in der vergangenen Woche nach Gesprächen in Moskau konstatiert, diese seien „konstruktiv“ verlaufen; man hoffe auf eine Lösung. Bekannt ist, dass der russische Präsident Wladimir Putin sich prinzipiell bereit erklärt hat, die Hafenblockade zu beenden. Die Türkei wiederum würde in diesem Fall die Aufgabe übernehmen, ukrainische Seeminen zu entfernen und die mit Getreide beladenen Frachtschiffe sicher durch das Schwarze Meer zu geleiten. Nach intensiven bilateralen Verhandlungen Ende Mai hoffen Beobachter auf einen Durchbruch bei Gesprächen des türkischen Außenministers Mevlüt Çavus¸og˘lu mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow am Mittwoch dieser Woche in Ankara (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe). Ein Erfolg steht laut Berichten russischer und türkischer Medien unmittelbar bevor.
Streuwirkung der Sanktionen
Unklar ist allerdings noch, wie der zweite Teil des UN-Ansatzes sichergestellt werden soll – die Gewährleistung russischer und belarussischer Getreide- und Düngemittelexporte. Sowohl die EU als auch die USA verschanzen sich bisher hinter der Aussage, sie hätten gegen beides keine Russland-Sanktionen in Kraft. Dies trifft zu, verschweigt aber, dass zum einen die transatlantischen Sanktionen gegen Kalisalze aus Belarus fortbestehen und zum anderen russische Exporte durch Strafmaßnahmen massiv erschwert werden, die die Transport- sowie die Finanzbranche treffen. Zusätzlich wirkt sich die Furcht vor einer weiteren Ausdehnung der Embargomaßnahmen des Westens negativ auf jeden Handel aus. Diese Streuwirkung der Sanktionen ist aus früheren Sanktionsregimes bestens bekannt; sie hat nicht selten sogar humanitäre Hilfe verhindert. Wie nun berichtet wird, ist Washington mittlerweile bereit, der Streuwirkung der Sanktionen auf russische Getreide- und Kalisalzexporte entgegenzuwirken. Dazu könne man einschlägig interessierten Unternehmen etwa eine Art Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen, wird Linda Thomas-Greenfield, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, zitiert.
Guterres’ Belarus-Baltikum-Plan
Sabotiert werden die Bemühungen der Vereinten Nationen gegenwärtig vor allem von der EU. Dies betrifft insbesondere die Überlegungen, die ukrainischen Getreidevorräte nicht nur über das Schwarze Meer, sondern auch über Land zu exportieren. Zwar arbeitet vor allem die Bundesrepublik aktuell daran, den Export ukrainischen Getreides auf dem Schienenweg über Polen und Deutschland zu organisieren; die Verschiffung ist etwa über deutsche oder über italienische Häfen geplant. Erhebliche Probleme verursacht dabei aber, dass die Fracht an der ukrainisch-polnischen Grenze auf neue Züge umgeladen werden muss, weil die Gleise in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine andere Spurweite haben als diejenigen in Westeuropa. Das kostet so viel Zeit, dass Experten zufolge allenfalls ein geringer Teil der ukrainischen Vorräte rechtzeitig abtransportiert werden kann. Als gangbare Alternative gilt der Transport des Getreides über Belarus in einen der Häfen im Baltikum, insbesondere ins litauische Klaipe˙da. Auf diesem Wege könnten gut zwei Drittel der etwas mehr als 20 Millionen Tonnen Getreide, die zur Zeit in der Ukraine lagern, verfügbar gemacht werden. UN-Generalsekretär Guterres befürwortet dies.
„Kategorisch ausgeschlossen“
Dem Vorhaben stehen die EU-Sanktionen gegen Belarus entgegen. Minsk ist bereit, den Transport des Getreides über sein Territorium zu organisieren, verlangt im Gegenzug aber, dass ein Teil seiner mit Sanktionen belegten Exporte über Häfen wie denjenigen in Klaipe˙da wieder zugelassen wird. Das deckt sich zum guten Teil mit dem UN-Plan, Kalisalzexporte auch aus Belarus zwecks Sicherung der globalen Nahrungsmittelversorgung wieder möglich zu machen. Allerdings stellt sich jetzt die EU quer: „Von den Mitgliedstaaten wie von der Kommission“ werde „eine Aufhebung oder auch nur Lockerung von Sanktionen gegen Belarus kategorisch ausgeschlossen“, wurde in der vergangenen Woche berichtet. Zwar habe Brüssel in den vergangenen drei Monaten versucht, Minsk mit finanziellen Angeboten zu locken, um es Moskau abspenstig zu machen; „auffällig“ sei, dass die EU nach ihren Sanktionen vom 9. März weitere Strafmaßnahmen zunächst bloß gegen Russland verhängt habe, nicht aber gegen Belarus. Die belarussische Regierung sei allerdings nicht auf die Avancen der EU eingegangen; sie habe deutlich gemacht, dass Versuche, einen Keil zwischen sie und Russland zu treiben, zum Scheitern verurteilt seien.
Die Prioritäten der EU
Die EU hat deshalb Konsequenzen gezogen und am Freitag neue Sanktionen gegen Belarus verhängt. Diese richten sich konkret unter anderem gegen Belaruskali, den größten Kalisalzproduzenten des Landes, gegen den Leiter des Unternehmens, Iwan Golowaty, und gegen die Exportfirma Belarusian Potash Co., die den Ausstoß von Belaruskali in fremde Länder ausführt. Die Verhängung von Strafmaßnahmen gegen Unternehmen, deren Produkte UN-Generalsekretär Guterres wieder verfügbar zu machen sucht, um eine globale Hungerkrise abzuwenden, ist ein selten direkter Affront gegen die Vereinten Nationen. Er zeigt, dass für die EU eine Schwächung gegnerischer Staaten deutlich Vorrang vor der Vermeidung einer Hungerkrise genießt.
Quelle: german-foreign
Die Behauptung: Die Ukraine als Kornkammer der Welt zu bezeichnen, ist (…) Unsinn.
Das Bild, das die Produktionsdaten vermitteln, sage wenig aus, erklärt Martin Banse, Leiter des Thünen-Instituts für Marktanalyse, das unter anderem für die Bundesregierung Entwicklungen in der Landwirtschaft untersucht. Denn die meisten Länder der Welt produzierten Getreide vor allem für den Eigenbedarf. Exporteure gibt es dagegen nur wenige. Für die Nahrungsmittelversorgung in Ländern ohne eigene Anbaumöglichkeiten, etwa in Afrika, aber sind nur die Exportmengen von Bedeutung.Und genau hierbei sind sowohl die Ukraine, als auch Russland echte Schwergewichte. Beide Länder zusammen haben laut Thünen-Institut und USDA einen Anteil an den weltweiten Weizenexporten von 26 Prozent. Die Ukraine allein bringt es auf 9 Prozent. Hunderte Millionen Menschen sind also auf die Lieferungen angewiesen. Beim Mais entfallen immerhin 12 Prozent der weltweiten Exporte auf die Ukraine.
Quelle: WIMO