Neue Hürden im Konflikt zwischen NATO und Russland

Die Sicherheitsinteressen Russlands total von der NATO missachtet. Mit den erneuten Beschluss die militärische Präsens der NATO-Mitglieder an der russischen Grenze auszuweiten provozieren die Hardliner in der NATO Russland weiter nach den diplomatischen Aktivitäten der letzten Wochen eine Entspannung in der Grenzregion zur Ukraine herbeizuführen. Kein Wunder, dass Russland kein Interesse  an einer Teilnahme an der Sicherheitskonferenz in München hat.

NATO-Verteidigungsminister beschließen Vorbereitungen für die Stationierung neuer Battle Groups in Ost- und Südosteuropa und damit neue Hürden für Verhandlungen mit Russland.

BERLIN (german-foreign-Bericht) – Mit dem gestrigen Beschluss der NATO-Verteidigungsminister, neue Battle Groups in Ost- und Südosteuropa zu stationieren, stellt das Militärbündnis den Verhandlungen mit Moskau über Rüstungskontrolle und Sicherheitsgarantien in Europa neue Hürden in den Weg. Wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigt, werden in den kommenden Wochen detaillierte Pläne für NATO-Kampftruppen in Rumänien, Bulgarien, Ungarn sowie der Slowakei erarbeitet. Deren Stationierung liefe erneut der NATO-Russland-Grundakte zuwider, mit der die NATO im Mai 1997 die russischen Widerstände gegen ihre Osterweiterung besänftigen wollte; Moskau fordert aktuell ihre Einhaltung ein. Die neuen Battle Groups sind zudem in Bulgarien, Ungarn und der Slowakei heftig umstritten. Während neuer Streit heraufdämmert, zeichnen sich Lösungsansätze für den Konflikt in der Ostukraine und für die Auseinandersetzungen um die geplante NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ab. Während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zugesagt hat, die Voraussetzungen für die Umsetzung des Minsker Abkommens zu schaffen, äußert er, der NATO-Beitritt der Ukraine sei womöglich nur „ein Traum“.


„Keine Vorwände mehr“

In den Verhandlungen zwischen Russland und dem Westen haben sich in den vergangenen Tagen abseits der Propagandaschlachten um eine angeblich bevorstehende russische Invasion Fortschritte abgezeichnet. Dies betrifft zum einen den Konflikt in der Ostukraine. Bereits vor der Wiederaufnahme der Gespräche im Normandie-Format – zunächst auf Beraterebene – am 26. Januar hatte die Regierung der Ukraine auf Druck der USA einen Gesetzesentwurf zurückziehen müssen, der unter anderem ernste Strafen für die Separatisten in Donezk und in Luhansk vorsah und dem Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015 endgültig den Boden entzogen hätte. Jetzt hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zudem zugesagt, die Gesetze, die zur Umsetzung des Minsker Abkommens noch nötig sind, endlich auf den Weg zu bringen. Dabei geht es etwa um eine Autonomieregelung für die Ostukraine und um die Vorbereitung von Wahlen. Kanzler Olaf Scholz teilte am Montag nach seinem Gespräch mit Selenskyj mit, es könne „keine Vorwände“ mehr geben, sich einem Verhandlungsfortschritt zu verweigern.[1] Russland macht freilich weiterhin Druck: Die Duma forderte Präsident Wladimir Putin am Dienstag auf, über die Anerkennung der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk zu entscheiden. Moskau verfügt damit über Drohpotenzial, um eine weitere Verschleppung der schon sieben Jahre dauernden Gespräche zu unterbinden.

„Nur ein Traum“

Darüber hinaus ist Bewegung in einen Kernpunkt der Auseinandersetzungen geraten – in die Frage, ob die Ukraine Mitglied der NATO werden kann. Die westlichen Mächte beharren auf dem verbrieften Recht auf freie Bündniswahl, ignorieren dabei allerdings das ebenfalls verbriefte Recht auf gleiche Sicherheit für alle Staaten und die entsprechende Verpflichtung, bei der Bündniswahl die Sicherheitsinteressen Dritter nicht zu verletzen. Festgehalten sind all diese Rechte etwa in der Europäischen Sicherheitscharta aus dem Jahr 1999 (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Weiter verkompliziert wird die Lage dadurch, dass die Ukraine das Ziel, dem westlichen Militärpakt beizutreten, 2019 in ihre Verfassung aufgenommen hat. Am Sonntagabend äußerte nun der ukrainische Botschafter in Großbritannien im Interview mit der BBC, Kiew könne sich, was den NATO-Beitritt angehe, „flexibel“ zeigen, wenn dies dem Frieden diene.[3] Am Montag rückte er seine Aussage zwar ein wenig zurecht; doch bezog Präsident Selenskyj nach seinem Treffen mit Kanzler Scholz Position. Selenskyj sagte, zwar sei die NATO-Mitgliedschaft für Kiew unverändert ein wichtiges Ziel; doch wisse „niemand“, wann man es „erreichen“ könne. Womöglich sei ein ukrainischer NATO-Beitritt auch nur „ein Traum“: Das „werden wir sehen“.[4]

Mehr NATO-Battle Groups

Während die Ukraine den Bestimmungen des Minsker Abkommens Rechnung zu tragen verspricht und zumindest Offenheit in der Frage ihres NATO-Beitritts signalisiert, verschärft der Militärpakt die Lage mit einer Aufstockung seiner Truppen in Ost- und Südosteuropa. Gestern beschlossen die NATO-Verteidigungsminister, wie Generalsekretär Jens Stoltenberg mitteilte, „Optionen zu entwickeln“, um ihre „Abschreckung und Verteidigung weiter zu stärken“; zum Beispiel erwäge man, neue NATO-Battle Groups in Ost- und Südosteuropa zu stationieren.[5] Gefordert wird das schon lange. Im Juni 2020 zum Beispiel hieß es in einem Papier, das Spezialisten vom Washingtoner Center for European Policy Analysis (CEPA) verfasst hatten, darunter der frühere Oberkommandierende der US-Landstreitkräfte in Europa Ben Hodges, die NATO müsse ihre Position im und am Schwarzen Meer stärken und dazu ihre bisherige Schwarzmeerpräsenz (tailored Forward Presence, tFP) derjenigen im Baltikum (enhanced Forward Presence, eFP) angleichen.[6] Während die eFP vier Battle Groups mit einem Umfang von 1.000 bis 1.500 Soldaten umfasst, die von großen NATO-Staaten geführt werden, besteht die tFP vor allem aus der Multinational Brigade South-East, einer 4.000 Militärs starken Truppe, die im rumänischen Craiova angesiedelt und Rumänien unterstellt ist; Soldaten weiterer NATO-Länder sind in geringerem Umfang eingebunden.

Widerstände

Bereits seit geraumer Zeit ist bekannt, dass Rumänien die Stationierung einer neuen eFP-Battle Group begrüßen würde; Frankreich hat sich bereit erklärt, die Führung zu übernehmen. Rumänien, ein Land, in dem eine romanische, dem Französischen verwandte Sprache gesprochen wird, ist Mitglied der Organisation internationale de la Francophonie, und es hat traditionelle Bindungen an Frankreich. In Bulgarien wiederum, das bis heute relativ enge Bindungen an Russland hat, stößt die NATO-Forderung, eine eFP-Battle Group aufzustellen, auf Unmut; inzwischen zeichnet sich ein Kompromiss ab, der vorsieht, eine Battle Group unter bulgarischer Führung aufzustellen sowie kleinere Einheiten aus anderen NATO-Staaten zu integrieren. Ungarn wiederum lehnt bislang jegliche Stationierung ausländischer Truppen ab; spekuliert wird zur Zeit, Budapest könne eine rein ungarische Battle Group aufstellen und sie unmittelbar in die NATO-Strukturen einbinden. Die Slowakei ist bislang gleichfalls nicht bereit, fremde Streitkräfte dauerhaft ins Land zu lassen, beginnt inzwischen jedoch, unter dem Druck der NATO zu wanken. Im Gespräch ist zur Zeit, die Widerstände zu brechen, indem das Land eine eFP-Battle Group gemeinsam mit Tschechien bildet. Generalsekretär Stoltenberg kündigte gestern für alle vier Länder die Ausarbeitung von Details und eine Erstellung konkreter Vorschläge in den kommenden Wochen an.[7]

Dauerhaft und substanziell

Mit Blick auf die Verhandlungen mit Russland handelt es sich bei der Maßnahme um eine Provokation, da Moskau den Rückbau der NATO-Präsenz in Ost- und Südosteuropa auf den Stand vom Mai 1997 fordert. Am 27. Mai 1997 wurde die NATO-Russland-Grundakte unterzeichnet, in der das westliche Militärbündnis unter anderem zusagte, „in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld“ werde es „kollektive Verteidigung und andere Aufgaben“ in den beitrittswilligen Ländern Ost- und Südosteuropas „eher“ durch „Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung“ gewährleisten als durch die „dauerhaft[e]“ Stationierung „zusätzliche[r] substantielle[r] Kampftruppen“.[8] Insbesondere seit 2014 baut die NATO ihre Präsenz in Ost- und Südosteuropa immer stärker aus, was dem Grundgedanken der NATO-Russland-Grundakte zuwiderläuft. Das Militärbündnis behilft sich mit der Behauptung, ihre Battle Groups rotierten regelmäßig und seien also nicht „dauerhaft“ stationiert; zudem handle es sich nicht um „substantielle“ Kampftruppen. Beides wird von Moskau in Frage gestellt und soll in Verhandlungen zwischen Russland und der NATO geklärt werden. Die Stationierung neuer Battle Groups schafft neue Hürden.

Quelle: german-foreign (Originaltext vom 17.2.2022)