In eigener Sache (II)
Einen Bericht unserer Redaktion über die Zurückweisung humanitärer Hilfe während der Covid-19-Pandemie hat das Unternehmen Facebook als „Fehlinformation“ gekennzeichnet und die Verbreitung eingeschränkt. Als „Fehlinformation“ will Facebook die Tatsache deuten, dass der chinesische Staatspräsident mehreren europäischen Staatsrepräsentanten, darunter der deutschen Bundeskanzlerin, sofortige medizinische Hilfe angeboten hatte, aber dass diese Hilfe zwar von Frankreich, Serbien und Spanien unmittelbar angefordert wurde, jedoch nicht von der Bundesrepublik. Erst nach Veröffentlichung dieses Affronts durch internationale Medien, darunter auch german-foreign-policy.com, und angesichts der möglichen Folgen für Covid-19-Opfer in Deutschland bequemte sich Berlin, die Hilfe anzunehmen. Dass unsere Darstellung dieser Ereignisse bei Facebook als „Fehlinformation“ gekennzeichnet wird, geht auf eine „Faktenprüfung“ des privatwirtschaftlichen Dienstleisters correctiv.org zurück. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser „Faktenprüfung“ haben wir die Kontroverse am 4. Juni öffentlich gemacht. Die Reaktion des Dienstleisters vom 5. Juni offenbart die politische Tragweite seiner Auftragsarbeit. Wir veröffentlichen das Antwortschreiben unserer Redaktion an correctiv.org vom 8. Juni und beenden damit die Korrespondenz.
An
correctiv.org
Essen/Berlin
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Ihrem Schreiben vom 5. Juni erwidern Sie unsere mehrmaligen Aufforderungen, die Einstufung eines unserer Medienberichte als „Fehlinformation“ zurückzunehmen. Die Einstufung ist unzutreffend. Wir verweisen auf den vorliegenden Schriftverkehr über einen politischen Konflikt zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China, den wir in unserem Presseorgan dargestellt haben.[1]
In Ihrem nunmehr vierten Anlauf, das Vorgehen gegen unsere Veröffentlichung zu rechtfertigen, führen Sie jetzt die Selbstaussage einer der beiden politischen Parteien des Konflikts als angeblich gültigen Tatsachenbeweis ein. Dabei beziehen Sie sich auf Aussagen des Auswärtigen Amts in Berlin.
Das Auswärtige Amt ist Teil der staatlichen Verwaltung. Die Aussagen und Behauptungen der staatlichen Verwaltung stehen unter dem Vorbehalt einer öffentlichen Prüfung. Diese Funktion nehmen unter anderem die Medien wahr.
Für Medien, die diese Funktion erfüllen wollen, kommt das Auswärtige Amt als maßgebliche Referenz für den Wahrheitsgehalt widersprüchlicher Aussagen über Konflikte im zwischenstaatlichen Verkehr nur bedingt und oft überhaupt nicht in Frage. Wir empfehlen einen Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen Auswärtigem Amt und deutscher Öffentlichkeit in Gegenwart und Geschichte der Bundesrepublik. Ultimativer Informant der Presse in zwischenstaatlichen Angelegenheiten kann die exekutive Behörde nach rechtsstaatlichen Maßstäben nicht sein.
Was das Auswärtige Amt nachträglich über den zwischenstaatlichen Konflikt zwischen Beijing und Berlin äußert und wie es die Zurückweisung sofortiger lebensrettender Hilfe bis zum Datum unserer Veröffentlichung gedeutet sehen will, mag es verbreiten, wie es ihm beliebt; ebenso correctiv.org. Diese Deutung ist kein gültiger Tatsachenbeweis. Man kann sie auch als durchsichtige Ausflucht angesichts der Kritik verstehen, die die Zurückweisung der sofortigen chinesischen staatlichen Hilfe national wie international hervorgerufen hat.
german-foreign-policy.com ist ein staatsfernes Pressemedium und an Verlautbarungen staatlicher Behörden nicht gebunden, egal ob diese staatlichen Behörden in Berlin oder in Beijing zu Hause sind.
Auch Dienstleister staatlicher Stellen oder deren privatwirtschaftliche Subunternehmer sollten sich nicht anmaßen, in die freie Berichterstattung einzugreifen. Von correctiv.org jetzt angeratene „Vorschläge“ zur Änderung unserer Berichterstattung verbitten wir uns.
Ihre „Vorschläge“ erwecken bei uns den Eindruck, Sie wollten ein korporatives System von Sprachregelungen einführen, über die Sie in Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen befinden, etwa mit dem Auswärtigen Amt. Wir bezweifeln, dass Ihr Vorgehen und Ihr Geschäftsmodell einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhält.
Im vorliegenden Fall des Konflikts zwischen Berlin und Beijing hat german-foreign-policy.com über diesen Konflikt investigativ berichtet. german-foreign-policy.com wird seinen Bericht unverändert verbreiten.
Sanktionsversuchen oder Zensurmaßnahmen gleich welcher Art wird german-foreign-policy.com widerstehen und seine Arbeit unbeirrt fortsetzen.
Mit freundlichen Grüßen,
die Redaktion
[1] S. dazu In eigener Sache.
german-foreign-policy.com in eigener Sache
AACHEN Kürzlich haben uns mehrere Leser darauf aufmerksam gemacht, dass einer unserer Texte auf Facebook als „Fehlinformation“ etikettiert wird. Verantwortlich dafür ist correctiv.org, eine Online-Plattform, die unter anderem eine „Faktenprüfung“ für Facebook vornimmt. Laut – von uns nicht überprüften – Berichten wird correctiv.org dafür von Facebook bezahlt. Die Einstufung unseres Textes als „Fehlinformation“ ist unzutreffend. correctiv.org weigert sich dennoch, sie zurückzunehmen. Damit stigmatisiert die Plattform einen korrekten, freilich kritischen Bericht und trägt dazu bei, seine Verbreitung einzuschränken. Wir haben deshalb Anlass, die interessierte Öffentlichkeit auf die Praktiken von correctiv.org und ihr Geschäftsmodell aufmerksam zu machen. Wir dokumentieren den Vorfall.
„Annahme verweigert“
Mit Datum vom 23. März hatte german-foreign-policy.com berichtet: „Als bislang einziges Land Europas nimmt Deutschland ein chinesisches Hilfsangebot im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie nicht an.“[1] Zum Beleg nannten wir in einer Fußnote unter unserem Bericht einen online einsehbaren Artikel, der am 21. März auf der Website der South China Morning Post publiziert worden war, einer international bekannten Tageszeitung aus Hongkong. Darin hieß es:
„Chinese President Xi Jinping made an unusually intense diplomatic gesture towards Europe on Saturday by calling the leaders of France, Germany, Spain and Serbia to offer support in their fight against Covid-19. … Germany, which has reported more than 20,000 cases and 44 deaths, is the only country out of the four Xi called that has not yet requested medical supplies from China.“[2]
Über unseren Bericht setzten wir die Überschrift „Annahme verweigert“ und bilanzierten den Vorgang im Untertitel: „Deutschland lehnt als bislang einziges Land Europas chinesische Hilfsangebote im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie ab“.
„Falsche Information“
Unseren Bericht vom 23. März hat Facebook inzwischen mit dem Hinweis „Falsche Informationen in diesem Beitrag“ versehen und stützt sich dabei auf die Online-Plattform correctiv.org. Diese behauptet, ihre „Faktenprüfung“ habe ergeben: „Falsch: Deutschland hat keine Hilfsangebote aus China abgelehnt“. Richtig sei vielmehr, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und Chinas Präsident Xi Jinping übereingekommen seien, dass Beijing medizinische Schutzausrüstung in die Bundesrepublik liefern werde.[3]
Es ist offenkundig, dass correctiv.org einer zeitlichen Verwechslung erlegen war: Die Übereinkunft zwischen Merkel und Xi wurde – die Plattform erwähnt das nicht – in einem Telefongespräch am 25. März erzielt.[4] Die „Faktenfinder“ bezogen sich also auf ein Ereignis vom 25. März (Einigung Merkel/Xi), um den Sachstand vom 23. März (Dissens Merkel/Xi) auszublenden und auf diese Weise die wahrheitsgemäße Berichterstattung auf german-foreign-policy.com als fehlerhaft darzustellen.
Politischer Konflikt
Diese zeitliche Verwechslung unterschlägt einen schweren politischen Konflikt: Als einziges Land hatte sich die Bundesrepublik am 23. März noch geweigert, die mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, vom chinesischen Präsidenten angebotene Hilfe gegen die lebensbedrohliche Pandemie anzunehmen. Dieser Konflikt wog – und wiegt – umso schwerer, als er international als politischer Affront gegen den Helfer gewertet wurde und eine vermeidbare Unterversorgung der deutschen Covid-19-Opfer wegen fehlender Schutzmittel zur Folge haben konnte. Erst die – diplomatisch unübliche – Veröffentlichung der staatlichen deutschen Weigerung durch chinesische Stellen, über die wir am 23. März wie auch andere Medien berichtet hatten, führte am 25. März und nach heftigen kritischen Reaktionen nicht nur in Deutschland zu einer Kurskorrektur der Bundesregierung am 25. März.
Vor diesem Hintergrund forderten wir correctiv.org auf, die unzutreffende Etikettierung unseres Berichts als „Fehlinformation“ zurückzunehmen.
Der zweite Fehlgriff
Im Antwortschreiben lehnte correctiv.org jedwede Korrektur ab und nahm nun zu einer neuen Begründung Zuflucht: „Eine Google-Suche“ zeige, dass es bereits vor dem 23. März, dem Datum unserer Veröffentlichung, chinesische Hilfslieferungen in die Bundesrepublik gegeben habe (eine Spende der Jack Ma Foundation und der Alibaba Foundation sowie die Schiffslieferung eines nicht genannten Absenders mit Covid-19-Tests – beide gingen lediglich teilweise nach Deutschland [5]). Mit dem zwischenstaatlichen politischen Konflikt, der zudem von den beiden Staatsrepräsentanten in einem öffentlich gewordenen Telefongespräch ausgetragen wurde und über den german-foreign-policy.com wahrheitsgemäß berichtet hatte, standen die „Google“-Suchergebnisse der „Faktenfinder“ in keinem Zusammenhang. Es handelte sich um einen zweiten Fehlgriff von correctiv.org, der erneut journalistische Sorgfalt vermissen ließ.
Interpretationen
Wir wiesen correctiv.org erneut auf die journalistischen Ungereimtheiten hin und verlangten zum zweiten Mal eine Korrektur. Daraufhin erhielten wir eine dritte Begründung: „In dem Artikel der SCMP [South China Morning Post, Anmerkung der Redaktion] wird keine Ablehnung erwähnt.“
Bei dieser Begründung handelte es sich nicht mehr um einen einfachen Fehlgriff. Die „Faktenfinder“ versuchten, die national wie international dokumentierte Deutung des Konflikts – politisch begründete Nichtanspruchnahme zwischenstaatlicher Hilfe – einer eigenen Interpretation zu unterwerfen, wonach die Nichtinanspruchnahme eines förmlich vorgetragenen Hilfsangebots zur zeitnahen Rettung von Menschenleben keine Zurückweisung sei.
Pressefreiheit
Eine solch lebensfremde und abseitige Interpretation folgenreicher politischer Vorgänge mit eventueller Todesfolge für die betroffenen Kranken darf jeder im Internet verbreiten, der es möchte. german-foreign-policy.com bleibt bei den Tatsachen, über die wir am 23. März berichtet haben: Die Bundesrepublik Deutschland hat das ihr vom chinesischen Staatspräsidenten unterbreitete Angebot, das vor dem 23. März erging, bis zum 23. März nicht angenommen, also abgewiesen. Daran ändert die Interpretation der sogenannten Faktenfinder nichts. Allerdings lässt correctiv.org auch mit dieser dritten Begründung Zweifel an den vorgegebenen Geschäftszielen der Plattform entstehen: im Internet gegen Unwahrheiten, politische Hetze und Irreführung vorgehen zu wollen. Vielmehr kann es den Eindruck erwecken, die Plattform wende ihrerseits Mittel an, die sie vermieden sehen will, und übe damit im gesetzlich verbürgten Raum der Pressefreiheit unerlaubte Sanktionsmacht aus.
german-foreign-policy.com hat deshalb nicht nur Anlass, an der journalistischen Seriosität von Organisationen wie correctiv.org zu zweifeln. Wir fürchten zudem, mit derlei Praktiken könnten sich Eingriffe in die verbürgte Pressefreiheit etablieren. In letzter Konsequenz liefe das auf Zensur hinaus – Grund, die interessierte Öffentlichkeit zu warnen. Unsere Leser, insbesondere die Pressekollegen, bitten wir um Verbreitung.
Die Redaktion
[1] S. dazu Annahme verweigert.
[2] Stuart Lau: Coronavirus: Xi Jinping calls leaders of France, Spain, Germany and Serbia with offers of support. scmp.com 21.03.2020.
[3] Lea Weinmann: Corona-Krise: Nein, Deutschland lehnt nicht jegliche Hilfe aus China ab. correctiv.org 20.04.2020.
[4] Bundeskanzlerin Merkel telefoniert mit dem chinesischen Präsidenten, Xi Jinping. bundeskanzlerin.de 25.03.2020.
[5] Dorothy So: Jack Ma Foundation and Alibaba Foundation Ramp up Coronavirus Aid to Europe. alizila.com 18.03.2020. Marina Kormbaki: China will in der Corona-Krise helfen: Nächstenliebe oder Propaganda? rnd.de 19.03.2020.