Totensonntag

 

Wie in den Jahren zuvor organisiert die VVN-BdA ein Gedenken an die Opfer von Krieg und Faschismus auf dem Hauptfriedhof in Karlsruhe .

 

 

Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
zunächst darf ich mich für die Einladung der VVN-BdA Karlsruhe bedanken, am heutigen
Totensonntag im Gedenken an die Opfer des Faschismus, des Nationalsozialismus, zu
sprechen.

Der Totensonntag ist ein Tag des sich Erinnerns.
Wir gedenken heute den vielen Millionen Menschen, die durch Krieg und Terror in diesem
und letztem Jahrhundert ihr Leben verloren haben. Ebenso gedenken wir mit Trauer der
Menschen, die auf der Flucht waren, die ihren Verfolgern entkommen wollten, oder die sich
aus wirtschaftlich-existenziellen Nöten in die Flucht aufmachten und dann letztlich jämmerlich
ertranken. Die aktuelle Situation zeigt uns ja, dass wir keinen Frieden auf der Welt haben. Die
Welt kommt nicht zur Ruhe! Wir wollen uns all derer erinnern, denen durch Verfolgung und
Willkür das Leben genommen wurde. Wir sind es den Opfern aller vergangenen und gegenwärtigen Kriege schuldig, denjenigen mit Entschlossenheit entgegenzutreten, die andere überfallen, mit Krieg überziehen und sie unter das Joch ihrer Ideologien zwingen wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingskrise, die wohl keinen von uns unberührt lässt,
stellt sich die Frage nach dem inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft auf eine
existenzielle Weise neu. Dies gilt sowohl für Deutschland wie für Europa als politischer Union,
die eine gemeinsame Vision teilt. Die antidemokratischen und populistischen Bewegungen in
vielen europäischen Staaten sind zunehmend eine Bedrohung nicht nur für Minderheiten,
sondern für die Demokratie als solche. Diese besorgniserregenden Entwicklungen stellen all
jene Werte in Frage, die nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs sowie des Holocaust
an 6 Millionen Juden und 500.000 Sinti und Roma in mühsamen gesellschaftlichen
Prozessen erkämpft wurden. Für diese Errungenschaften der Demokratie steht auch die Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma, die seit ihrer Formierung Ende der 1970er Jahre längst einen festen Platz im politischen und gesellschaftlichenLeben unseres Landes hat. Ziel unserer heutigen historischen Aufklärungsarbeit kann ganz gewiss nicht sein, den Enkeln und Urenkeln der Generation, aus der die NS-Täter stammen, irgendeine Form von Schuld
anzulasten. Dies wäre schlicht absurd. Es geht vielmehr um Wahrhaftigkeit und um gelebte
Verantwortung für jene demokratischen Werte, die das geistige Fundament Europas bilden.
Historisches Erinnern ist ein wesentlicher Beitrag für unsere heutige Zivilgesellschaft, in der
Diskriminierung von Minderheiten oder die Ausgrenzung Andersdenkender keinen Platz mehr
haben dürfen.
Der Holocaust an unserer Minderheit war, wie es Bundespräsident Roman Herzog in seiner
großen Rede bei der Eröffnung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und
Roma im März 1997 ausgedrückt hat, eine „Barbarei ungeheuren Ausmaßes“. Doch zugleich
war es ein Staatsverbrechen, akribisch geplant und ins Werk gesetzt von einem modernen
Verwaltungsapparat, bis hin zu den kommunalen Behörden. Der nationalsozialistische Staat
sprach den Angehörigen unserer Minderheit auf der Grundlage einer menschenverachtenden
Rassenideologie kollektiv und endgültig das Existenzrecht ab, nur weil sie als Sinti oder
Roma geboren worden waren.
Bereits die berüchtigten Nürnberger Gesetze wurden auf direkte Anweisung von
Reichsinnenminister Frick auf Sinti und Roma genauso angewandt wie auf Juden. In der
Folge wurden die Angehörigen unserer Minderheit systematisch aus allen gesellschaftlichen
Bereichen ausgegrenzt. Im Dezember 1938 forderte Himmler in einem Erlass die „endgültige
Lösung der Zigeunerfrage“. Mitte Mai 1940 begann die SS-Führung mit der Deportation
ganzer Familien ins besetzte Polen. Karlsruhe war eines der Zentren dieser ersten
familienweisen Deportation von 200 Sinti und Roma. Die Deportationsopfer wurden zunächst
auf den Hohenasperg bei Ludwigsburg, ins Zuchthaus verbracht. Für die meisten war es eine
Fahrt in den Tod. Auch meine Eltern, meine Mutter damals 5 Jahre alt, wurde mit ihrer
Familie, ihren Geschwistern deportiert. Ebenso mein Vater, der damals 15 Jahre alt war, kam
mit seiner ganzen Familie erst auf den Hohenasperg und anschließend in die Ghettos und
KZ‘s ins besetzte Polen.
Höhepunkt der Vernichtungspolitik war die Deportation von Sinti- und Roma-Familien aus
dem Deutschen Reich und dem besetzten Europa nach Auschwitz-Birkenau, auf der
Grundlage eines Himmler-Befehls vom 16. Dezember 1942. Beim Transport – im März 1943
wurden aus Karlsruhe die noch 300 verbliebenen Sinti und Roma mehrere Hundert
Menschen, Männer, Frauen und Kinder in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau
verschleppt.
Das Überleben war die große Ausnahme. Fast 90 Prozent der in Auschwitz-Birkenau
inhaftierten Sinti und Roma wurden ermordet. Die letzten 3.000 – meist Mütter mit ihren
Kindern und alte Menschen – mussten in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 in den
Gaskammern einen qualvollen Tod erleiden. So auch meine Tante Maria mit ihren zwei
Kindern die drei und fünf Jahre alt waren.
Das Netz der Konzentrationslager, der Erschießungsstätten und der Massengräber mit den
ermordeten Angehörigen unserer Minderheit zieht sich über ganz Europa. Über eine halbe
Million Sinti und Roma fielen der systematischen Vernichtung zum Opfer. Ein großer Teil
davon waren Kinder und Jugendliche. Die gesamte staatliche Bürokratie des „Dritten
Reiches“ war in dieses Verbrechen verstrickt, ebenso die staatlichen Organe der mit Hitler-
Deutschland verbündeten und der deutsch besetzten Länder. Auch die Kirchen haben sich
dem Morden nicht entschieden genug widersetzt, obwohl sie – wie wir heute wissen – genaue
Kenntnis von der Dimension der Vernichtung unserer Minderheit hatten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jede unserer Familien war vom nationalsozialistischen Völkermord in existenzieller Weise betroffen. Diese Erfahrung absoluter Rechtlosigkeit hat sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt und unsere Identität als Minderheit geprägt. In der bundesdeutschen
Nachkriegsgesellschaft hingegen wurde der Völkermord an den Sinti und Roma verdrängt,
verharmlost oder gar geleugnet. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Dimension der an unseren
Menschen begangenen Verbrechen allmählich ins allgemeine Bewusstsein drang. Dass der
Völkermord an unserer Minderheit einen eigenen historischen Stellenwert hat, dass unseren
Opfern eine eigene Erinnerung und eine eigene Würde zukommt – dafür hat die
Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma lange kämpfen müssen.
Ein Schlüsseldatum war der 17. März 1982, unsere Bürgerrechtsarbeit forderte ein, dass der
Völkermord an unserer Minderheit anerkannt wird, an diesem Tag hat Helmut Schmidt als
erster deutscher Regierungschef den Völkermord an den Sinti und Roma und dessen
rassenideologische Motive offiziell anerkannt. Durch unsere kontinuierliche Aufklärungsarbeit, vor allem die Arbeit unserer Verbände, unsere konzipierten Ausstellungen über den von den Nationalsozialisten verübten Völkermord an den Sinti und Roma, ist es gelungen, einen anderen Blick auf unsere Minderheit im
öffentlichen Raum zu etablieren und den tief verwurzelten Klischees eine andere Wirklichkeit
entgegenzusetzen. Möglich war dies nicht zuletzt durch die engagierte Unterstützung unserer Holocaust-Überlebenden, die inzwischen verstorben sind, benennen: Josef Reinhardt, ein langjähriges Mitglied der
Karlsruher SPD. Er ist hier auf dem Hauptfriedhof begraben. Und Hermann Weiß, Sohn eines
Karlsruher Geigenbauers, der die Karlsruher Schillerschule besuchte, Geigenunterricht
bekam. Er sollte einmal die väterliche Werkstatt übernehmen. Hermann wurde als 15-jähriger
nach Polen, ins KZ deportiert. Einige Jahre später, es war schon fast Kriegsende, wurde
Hermann, der kurz vor der Deportation 1940 im Mai, entdeutscht wurde jetzt wieder deutsch
gemacht von den NS-Schergen. Er musste die Häftlingskleidung im KZ Sachsenhausen bei
Berlin, gegen eine Offiziersuniform tauschen. Wurde von den Nazi-Peinigern an die vorderste
Front, gegen die heranrückende Rote Armee gestellt. Als Kanonenfutter.
Gefangen genommen als vermeintlicher deutscher Soldat. Dawai, dawai, niet niet, meinten
die russischen Soldaten der Roten Armee, als Hermann, der nun schon 20 Jahre alt war, sich
erklären wollte, dass er selbst Gefangener der Nationalsozialisten wäre. Die fast vierjährige
russische Kriegsgefangenschaft überlebte Hermann dann auch noch. Erst 1948, kam er
zurück in seine Heimatstadt Karlsruhe. Da erst, erfuhr Hermann von den Verlusten seiner
Geschwister, die im KZ getötet wurden. Zwei verheiratete Schwestern samt ihren Kindern und
Ehemännern, blieben im Lager. Und einer seiner zwei älteren Brüder, er hieß Valentin, wurde
auch im KZ umgebracht. Nikolaus, der älteste Bruder, überlebte mit den Eltern
glücklicherweise die Ghettos und KZ’s in Polen und ging nach der Befreiung durch die
Allierten auf dem Schubweg zurück nach Deutschland, in die Heimatstadt Karlsruhe, wo er
der VVN beitrat. Hermann, wurde so wie sein Vater und Bruder Nikolaus, Geigenbauer.
Hermann Weiß, starb 2010. Er war mein Vater!

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir wollen – eingedenk unserer eigenen Verfolgungserfahrung – auch anderen Minderheiten
und gesellschaftlichen Gruppen, die Opfer von Rassismus waren und sind, unsere Solidarität
aussprechen.Auch wenn die Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts unterschiedliche
historische Bedingungen oder Kontexte aufweisen, verbindet die Opfer all dieser Verbrechen
doch eine existenzielle Dimension menschlichen Leids. Es ist deshalb sehr wichtig, dass die heutigen Vertreter und Vertreter*innen von Opfergruppen oder Minderheiten – bei allen Differenzen der politischen Interessen – zu einer gemeinsamen solidarischen Haltung finden und diese wechselseitige Solidarität auch nach außen sichtbar werden lassen. In einer Zeit, in der Sinti und Roma, Juden, aber auch andere
Minderheiten in vielen Ländern Europas rassistischer Hetze und Gewalt ausgesetzt sind,
müssen wir zusammenstehen, um offensiv gegen Diskriminierung und Rassismus
vorzugehen. Das bedeutet umgekehrt aber auch: Wir sind auf das Funktionieren unseres
Staates, unserer demokratischen Rechtsordnung angewiesen. Wir wissen nur zu gut: Wenn
die Demokratie in Gefahr gerät, dann kann uns dies als Minderheit in unserer Existenz
bedrohen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
für die Zukunft unserer Kinder hängt viel davon ab, ob Europa, die viel beschworene
Wertegemeinschaft, in dieser Krise zusammenstehtMeine sehr geehrten Damen und Herren,
zunächst darf ich mich für die Einladung der VVN-BdA Karlsruhe bedanken, am heutigen
Totensonntag im Gedenken an die Opfer des Faschismus, des Nationalsozialismus, zu
sprechen.

Der Totensonntag ist ein Tag des sich Erinnerns.
Wir gedenken heute den vielen Millionen Menschen, die durch Krieg und Terror in diesem
und letztem Jahrhundert ihr Leben verloren haben. Ebenso gedenken wir mit Trauer der
Menschen, die auf der Flucht waren, die ihren Verfolgern entkommen wollten, oder die sich
aus wirtschaftlich-existenziellen Nöten in die Flucht aufmachten und dann letztlich jämmerlich
ertranken. Die aktuelle Situation zeigt uns ja, dass wir keinen Frieden auf der Welt haben. Die
Welt kommt nicht zur Ruhe! Wir wollen uns all derer erinnern, denen durch Verfolgung und
Willkür das Leben genommen wurde. Wir sind es den Opfern aller vergangenen und                gegenwärtigen Kriege schuldig, denjenigen mit Entschlossenheit entgegenzutreten,                                    die andere überfallen, mit Krieg überziehen und sie unter das Joch ihrer Ideologien                              zwingen wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingskrise, die wohl keinen von uns unberührt lässt,
stellt sich die Frage nach dem inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft auf eine
existenzielle Weise neu. Dies gilt sowohl für Deutschland wie für Europa als politischer Union,
die eine gemeinsame Vision teilt. Die antidemokratischen und populistischen Bewegungen in
vielen europäischen Staaten sind zunehmend eine Bedrohung nicht nur für Minderheiten,
sondern für die Demokratie als solche. Diese besorgniserregenden Entwicklungen stellen all
jene Werte in Frage, die nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs sowie des Holocaust
an 6 Millionen Juden und 500.000 Sinti und Roma in mühsamen gesellschaftlichen
Prozessen erkämpft wurden. Für diese Errungenschaften der Demokratie steht auch die Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma, die seit ihrer Formierung                                     Ende der 1970er Jahre längst einen festen Platz im politischen und gesellschaftlichen                           Leben unseres Landes hat. Ziel unserer heutigen historischen Aufklärungsarbeit                                      kann ganz gewiss nicht sein, den Enkeln und Urenkeln der Generation,                                                         aus der die NS-Täter stammen, irgendeine Form von Schuld
anzulasten. Dies wäre schlicht absurd. Es geht vielmehr um Wahrhaftigkeit und um gelebte
Verantwortung für jene demokratischen Werte, die das geistige Fundament Europas bilden.
Historisches Erinnern ist ein wesentlicher Beitrag für unsere heutige Zivilgesellschaft, in der
Diskriminierung von Minderheiten oder die Ausgrenzung Andersdenkender keinen Platz mehr
haben dürfen.
Der Holocaust an unserer Minderheit war, wie es Bundespräsident Roman Herzog in seiner
großen Rede bei der Eröffnung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und
Roma im März 1997 ausgedrückt hat, eine „Barbarei ungeheuren Ausmaßes“. Doch zugleich
war es ein Staatsverbrechen, akribisch geplant und ins Werk gesetzt von einem modernen
Verwaltungsapparat, bis hin zu den kommunalen Behörden. Der nationalsozialistische Staat
sprach den Angehörigen unserer Minderheit auf der Grundlage einer menschenverachtenden
Rassenideologie kollektiv und endgültig das Existenzrecht ab, nur weil sie als Sinti oder
Roma geboren worden waren.
Bereits die berüchtigten Nürnberger Gesetze wurden auf direkte Anweisung von
Reichsinnenminister Frick auf Sinti und Roma genauso angewandt wie auf Juden. In der
Folge wurden die Angehörigen unserer Minderheit systematisch aus allen gesellschaftlichen
Bereichen ausgegrenzt. Im Dezember 1938 forderte Himmler in einem Erlass die „endgültige
Lösung der Zigeunerfrage“. Mitte Mai 1940 begann die SS-Führung mit der Deportation
ganzer Familien ins besetzte Polen. Karlsruhe war eines der Zentren dieser ersten
familienweisen Deportation von 200 Sinti und Roma. Die Deportationsopfer wurden zunächst
auf den Hohenasperg bei Ludwigsburg, ins Zuchthaus verbracht. Für die meisten war es eine
Fahrt in den Tod. Auch meine Eltern, meine Mutter damals 5 Jahre alt, wurde mit ihrer
Familie, ihren Geschwistern deportiert. Ebenso mein Vater, der damals 15 Jahre alt war, kam
mit seiner ganzen Familie erst auf den Hohenasperg und anschließend in die Ghettos und
KZ‘s ins besetzte Polen.
Höhepunkt der Vernichtungspolitik war die Deportation von Sinti- und Roma-Familien aus
dem Deutschen Reich und dem besetzten Europa nach Auschwitz-Birkenau, auf der
Grundlage eines Himmler-Befehls vom 16. Dezember 1942. Beim Transport – im März 1943
wurden aus Karlsruhe die noch 300 verbliebenen Sinti und Roma mehrere Hundert
Menschen, Männer, Frauen und Kinder in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau
verschleppt.
Das Überleben war die große Ausnahme. Fast 90 Prozent der in Auschwitz-Birkenau
inhaftierten Sinti und Roma wurden ermordet. Die letzten 3.000 – meist Mütter mit ihren
Kindern und alte Menschen – mussten in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 in den
Gaskammern einen qualvollen Tod erleiden. So auch meine Tante Maria mit ihren zwei
Kindern die drei und fünf Jahre alt waren.
Das Netz der Konzentrationslager, der Erschießungsstätten und der Massengräber mit den
ermordeten Angehörigen unserer Minderheit zieht sich über ganz Europa. Über eine halbe
Million Sinti und Roma fielen der systematischen Vernichtung zum Opfer. Ein großer Teil
davon waren Kinder und Jugendliche. Die gesamte staatliche Bürokratie des „Dritten
Reiches“ war in dieses Verbrechen verstrickt, ebenso die staatlichen Organe der mit Hitler-
Deutschland verbündeten und der deutsch besetzten Länder. Auch die Kirchen haben sich
dem Morden nicht entschieden genug widersetzt, obwohl sie – wie wir heute wissen – genaue
Kenntnis von der Dimension der Vernichtung unserer Minderheit hatten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jede unserer Familien war vom nationalsozialistischen Völkermord in existenzieller Weise betroffen. Diese Erfahrung absoluter Rechtlosigkeit hat sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt und unsere Identität als Minderheit geprägt. In der bundesdeutschen
Nachkriegsgesellschaft hingegen wurde der Völkermord an den Sinti und Roma verdrängt,
verharmlost oder gar geleugnet. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Dimension der an unseren
Menschen begangenen Verbrechen allmählich ins allgemeine Bewusstsein drang. Dass der
Völkermord an unserer Minderheit einen eigenen historischen Stellenwert hat, dass unseren
Opfern eine eigene Erinnerung und eine eigene Würde zukommt – dafür hat die
Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma lange kämpfen müssen.
Ein Schlüsseldatum war der 17. März 1982, unsere Bürgerrechtsarbeit forderte ein, dass der
Völkermord an unserer Minderheit anerkannt wird, an diesem Tag hat Helmut Schmidt als
erster deutscher Regierungschef den Völkermord an den Sinti und Roma und dessen
rassenideologische Motive offiziell anerkannt. Durch unsere kontinuierliche Aufklärungsarbeit, vor allem die Arbeit unserer Verbände, unsere konzipierten Ausstellungen über den von den Nationalsozialisten verübten Völkermord an den Sinti und Roma, ist es gelungen, einen anderen Blick auf unsere Minderheit im
öffentlichen Raum zu etablieren und den tief verwurzelten Klischees eine andere Wirklichkeit
entgegenzusetzen. Möglich war dies nicht zuletzt durch die engagierte Unterstützung unserer Holocaust-Überlebenden, die inzwischen verstorben sind, benennen: Josef Reinhardt, ein langjähriges Mitglied der Karlsruher SPD. Er ist hier auf dem Hauptfriedhof begraben. Und Hermann Weiß, Sohn eines Karlsruher Geigenbauers, der die Karlsruher Schillerschule besuchte, Geigenunterricht bekam. Er sollte einmal die väterliche Werkstatt übernehmen. Hermann wurde als 15-jähriger nach Polen, ins KZ deportiert. Einige Jahre später, es war schon fast Kriegsende, wurde
Hermann, der kurz vor der Deportation 1940 im Mai, entdeutscht wurde jetzt wieder deutsch
gemacht von den NS-Schergen. Er musste die Häftlingskleidung im KZ Sachsenhausen bei
Berlin, gegen eine Offiziersuniform tauschen. Wurde von den Nazi-Peinigern an die vorderste
Front, gegen die heranrückende Rote Armee gestellt. Als Kanonenfutter.
Gefangen genommen als vermeintlicher deutscher Soldat. Dawai, dawai, niet niet, meinten
die russischen Soldaten der Roten Armee, als Hermann, der nun schon 20 Jahre alt war, sich
erklären wollte, dass er selbst Gefangener der Nationalsozialisten wäre. Die fast vierjährige
russische Kriegsgefangenschaft überlebte Hermann dann auch noch. Erst 1948, kam er
zurück in seine Heimatstadt Karlsruhe. Da erst, erfuhr Hermann von den Verlusten seiner
Geschwister, die im KZ getötet wurden. Zwei verheiratete Schwestern samt ihren Kindern und
Ehemännern, blieben im Lager. Und einer seiner zwei älteren Brüder, er hieß Valentin, wurde
auch im KZ umgebracht. Nikolaus, der älteste Bruder, überlebte mit den Eltern
glücklicherweise die Ghettos und KZ’s in Polen und ging nach der Befreiung durch die
Allierten auf dem Schubweg zurück nach Deutschland, in die Heimatstadt Karlsruhe, wo er
der VVN beitrat. Hermann, wurde so wie sein Vater und Bruder Nikolaus, Geigenbauer.
Hermann Weiß, starb 2010. Er war mein Vater!

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir wollen – eingedenk unserer eigenen Verfolgungserfahrung – auch anderen Minderheiten
und gesellschaftlichen Gruppen, die Opfer von Rassismus waren und sind, unsere Solidarität
aussprechen.Auch wenn die Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts unterschiedliche
historische Bedingungen oder Kontexte aufweisen, verbindet die Opfer all dieser Verbrechen
doch eine existenzielle Dimension menschlichen Leids. Es ist deshalb sehr wichtig, dass die heutigen Vertreter und Vertreter*innen von Opfergruppen oder Minderheiten – bei allen Differenzen der politischen Interessen – zu einer gemeinsamen solidarischen Haltung finden und diese wechselseitige Solidarität auch nach außen sichtbar werden lassen. In einer Zeit, in der Sinti und Roma, Juden, aber auch andere
Minderheiten in vielen Ländern Europas rassistischer Hetze und Gewalt ausgesetzt sind,
müssen wir zusammenstehen, um offensiv gegen Diskriminierung und Rassismus
vorzugehen. Das bedeutet umgekehrt aber auch: Wir sind auf das Funktionieren unseres
Staates, unserer demokratischen Rechtsordnung angewiesen. Wir wissen nur zu gut: Wenn
die Demokratie in Gefahr gerät, dann kann uns dies als Minderheit in unserer Existenz
bedrohen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
für die Zukunft unserer Kinder hängt viel davon ab, ob Europa, die viel beschworene
Wertegemeinschaft, in dieser Krise zusammensteht oder an ihr zerbricht. Zu einer ehrlichen
Politik gehört jedoch auch die Einsicht, dass die Massenflucht nicht zuletzt Ergebnis einer
doppelbödigen Politik des Westens ist, der – aus wirtschaftlichen und strategischen
Interessen – jahrzehntelang diktatorische Regime unterstützte, die Menschenrechte mit
Füßen getreten haben. Mittel- und langfristig wird es darauf ankommen, die tatsächlichen
Ursachen der Fluchtbewegungen zu bekämpfen. Hierfür tragfähige politische Lösungsstrategien zu entwickeln, ist eine gesamteuropäische Aufgabe. Mit Blick auf die Asylverfahren und die Aufnahme von Flüchtlingen brauchen wir möglichst schnell verbindliche europäische Regeln. So lange jedoch dürfen Menschen, die bei uns Hilfe suchen, nicht in Flüchtlinge erster und zweiter Klasse eingeteilt werden. Dass die öffentliche Debatte um die sogenannten Balkanflüchtlinge in stigmatisierender Weise auf unsere Minderheit fokussiert wird und man die Frage nach den gesellschaftlichen Ursachen dabei völlig ausblendet, ist vor dem Hintergrund der Geschichte zynisch. Der Zentralrat bewertet in diesem Zusammenhang das Konzept der „sicheren Herkunftsländer“, zu denen jetzt auch Albanien, Kosovo und Montenegro per Gesetz erklärt wurden, als eine Einschränkung des individuellen Grundrechts auf Asyl. Auf der Grundlage der geltenden Gesetze und internationalen Verpflichtungen müssen alle Menschen, die Opfer von massiver Diskriminierung und rassistischer Gewalt sind, Schutz erhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es ist gerade ein Menschenleben her, seit sich Millionen Deutscher auf der Flucht befunden
haben: als Folge des von Nazi-Deutschland entfesselten Eroberungs- und
Vernichtungskriegs. In den Jahrzehnten, die seither vergangen sind, hat sich in der
Bundesrepublik eine demokratische Kultur und eine offene Gesellschaft entwickelt, diese uns
zu erhalten ist heute dringender denn je.
Ich bin daher trotz allem guter Hoffnung, dass unsere gefestigte Demokratie auch die
aktuellen Herausforderungen bewältigen wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

oder an ihr zerbricht. Zu einer ehrlichen
Politik gehört jedoch auch die Einsicht, dass die Massenflucht nicht zuletzt Ergebnis einer
doppelbödigen Politik des Westens ist, der – aus wirtschaftlichen und strategischen
Interessen – jahrzehntelang diktatorische Regime unterstützte, die Menschenrechte mit
Füßen getreten haben. Mittel- und langfristig wird es darauf ankommen, die tatsächlichen
Ursachen der Fluchtbewegungen zu bekämpfen. Hierfür tragfähige politische Lösungsstrategien zu entwickeln, ist eine gesamteuropäische Aufgabe. Mit Blick auf die Asylverfahren und die Aufnahme von Flüchtlingen brauchen wir möglichst schnell verbindliche europäische Regeln. So lange jedoch dürfen Menschen, die bei uns Hilfe suchen, nicht in Flüchtlinge erster und zweiter Klasse eingeteilt werden. Dass die öffentliche Debatte um die sogenannten Balkanflüchtlinge in stigmatisierender Weise auf unsere Minderheit fokussiert wird und man die Frage nach den gesellschaftlichen Ursachen dabei völlig ausblendet, ist vor dem Hintergrund der Geschichte zynisch. Der Zentralrat bewertet in diesem Zusammenhang das Konzept der „sicheren Herkunftsländer“, zu denen jetzt auch Albanien, Kosovo und Montenegro per Gesetz erklärt wurden, als eine Einschränkung des individuellen Grundrechts auf Asyl. Auf der Grundlage der geltenden Gesetze und internationalen Verpflichtungen müssen alle Menschen, die Opfer von massiver Diskriminierung und rassistischer Gewalt sind, Schutz erhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es ist gerade ein Menschenleben her, seit sich Millionen Deutscher auf der Flucht befunden
haben: als Folge des von Nazi-Deutschland entfesselten Eroberungs- und
Vernichtungskriegs. In den Jahrzehnten, die seither vergangen sind, hat sich in der
Bundesrepublik eine demokratische Kultur und eine offene Gesellschaft entwickelt, diese uns
zu erhalten ist heute dringender denn je.
Ich bin daher trotz allem guter Hoffnung, dass unsere gefestigte Demokratie auch die aktuellen Herausforderungen bewältigen wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.