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BERLIN/DAMASKUS (German-foreign Bericht) – Auch nach dem vorläufigen Scheitern der deutschen Pläne für den Aufbau einer westlichen Besatzungszone in Nordsyrien haben Außenpolitikexperten in Berlin Optionen für die mögliche Entsendung deutscher Soldaten in das Land im Blick. Es sei denkbar, dass Moskau durch anhaltende Attacken des IS in Syrien unter Druck gerate und um UN-Truppen zur Unterstützung im Kampf gegen die Jihadisten bitte, mutmaßt der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger: Dann könne womöglich der „Schutzzonen“-Plan der deutschen Verteidigungsministerin zur Anwendung kommen. Ähnliche Überlegungen werden bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) angestellt: Bleibe Syrien „auch nach einem Ende der Kampfhandlungen instabil“, könne vielleicht ein UN-Beobachtungseinsatz erzwungen werden. Militärplaner entwickeln unterdessen Interventionsszenarien, die einen Einsatz von bis zu drei deutschen Kampfbataillonen vorsehen. Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, fordert die beschleunigte Aufrüstung Deutschlands und der EU.
Vorläufig gescheitert
Nach dem Ausbleiben ernsthafter Zustimmung auf dem Treffen der NATO-Verteidigungsminister für den Plan von Annegret Kramp-Karrenbauer, eine westliche Besatzungszone („Schutzzone“) in Nordsyrien zu errichten, hat am Wochenende Außenminister Heiko Maas den Vorstoß de facto für gescheitert erklärt. „Überall wird uns gesagt, das sei kein realistischer Vorschlag“, sagte Maas am Samstag in Ankara nach ausführlichen Gesprächen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu, um seine Kabinettskollegin öffentlich abzukanzeln: „Für Dinge, die im Moment eher theoretischen Charakter haben, hat uns die Zeit gefehlt, weil den Menschen in Syrien die Zeit für theoretische Debatten fehlt.“
„Unfassbar“
Maas‘ ungewöhnliches Vorgehen ist in der Bundesregierung umgehend auf heftige Kritik gestoßen. Es sei „seit Jahrzehnten für jeden Politiker klar, dass man vom Ausland aus weder Politiker der Opposition noch der eigenen Regierung kritisiert“, hielt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier auf Twitter fest. Maas‘ Distanzierung von Kramp-Karrenbauer in Ankara sei „total daneben“, protestierte der parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Thomas Bareiß; sie stehe „nicht nur gegen jede diplomatische Gepflogenheit“, sondern sei „stillos und auch gegen unsere deutschen Interessen“. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen wurde mit der Äußerung zitiert: „Das ist ein peinlicher Moment deutscher Außenpolitik“. Ähnlich positionierten sich mehrere Abgeordnete der Opposition. Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff etwa nannte es „unfassbar“, dass der Außenminister die Verteidigungsministerin „im Ausland“ brüskiere – „mit einem fremden Außenminister, der feixend beipflichtet“.
Deutschlands Hebeld
Dessen ungeachtet suchen deutsche Außenpolitiker weiterhin nach Möglichkeiten, in Syrien Einfluss zu nehmen und die geplante Besatzungszone, wenngleich mit Verspätung, doch noch zu errichten. „Die türkisch-russische Einigung ist womöglich keine nachhaltige Lösung“, vermutet etwa der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger: Unter anderem aufgrund der fortdauernden Aktivitäten des IS seien „die Gefahren in der Region … real“. Ischinger schließt nicht aus, dass Russland – fürchtend, durch stetige Attacken etwa des IS in einen Abnutzungskrieg gezogen zu werden – „ein Interesse daran entwickelt, die Verantwortung für den Einsatz an die UN zu übertragen“: „Dann käme ihm die Initiative von Annegret Kramp-Karrenbauer vielleicht durchaus gelegen.“ Schon zuvor hatte Ischinger geurteilt, Moskau werde Syriens Wiederaufbau kaum alleine bezahlen können: „Ich bin sicher, dass diese Rechnung am Ende der EU präsentiert wird.“ Dies wiederum biete „uns einen Hebel: Wenn wir schon zur Kasse gebeten werden, sollten wir zur Bedingung machen, dass die Vereinten Nationen das weitere Vorgehen im Syrienkonflikt legitimieren.“
Weiterhin instabil
Bei der vom Kanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) werden ähnliche Überlegungen angestellt. So urteilt Muriel Asseburg, eine Nahost-Expertin der SWP, die 2012 das Projekt „The Day After“ betreut hatte, in dem syrische Exiloppositionelle in Berlin Pläne für den Neuaufbau Syriens nach dem erhofften Sturz von Präsident Al Assad entwickelten, Syrien werde „auch nach einem Ende der Kampfhandlungen instabil bleiben“, und zwar nicht nur im Nordosten. Womöglich werde sich dann früher oder später die Frage stellen, ob man eine „internationale Stabilisierungsmission“ einrichten solle – mutmaßlich einen Beobachtungseinsatz der Vereinten Nationen. UN-Beobachter könnten dann „vor allem an den Punkten im Land“ stationiert werden, „wo sich die Siedlungsgebiete verschiedener Bevölkerungsgruppen überlappen“. Man werde in diesem Falle darüber nachzudenken haben, „wie Deutschland und die Europäer zur Stabilisierung der Lage beitragen können“.
„Darüber kann man reden“
Darüber hinaus ist Berichten zufolge nicht ausgeschlossen, dass deutsche Soldaten in Nordsyrien in Absprache mit der Türkei eingesetzt werden. Während Außenminister Çavuşoğlu nach seiner Zusammenkunft mit seinem deutschen Amtskollegen erklärte, Kramp-Karrenbauers Vorschlag sei „nicht sehr realistisch“, teilte Verteidigungsminister Hulusi Akar mit, grundsätzlich habe man ihren Vorstoß „positiv“ aufgenommen: „Das ist ein Thema, worüber man reden kann“. Ankara sei bereit, die deutschen Pläne zu prüfen, sobald „mehr Details darüber“ vorlägen. Man müsse feststellen, ob das Vorhaben Berlins mit den türkischen Vorstellungen „konform“ gehe und mit ihnen „kombiniert“ werden könne.Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich am gestrigen Sonntag telefonisch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan über die Lage in Nordsyrien ausgetauscht. Man werde darüber in engem Kontakt bleiben, teilte eine Regierungssprecherin anschließend mit.
„Ohne Wenn und Aber“
Gleichzeitig treibt Berlin die militärischen Planungen weiter voran. Wie Ende vergangener Woche bekannt wurde, sieht das aktuelle Konzept vor, dass die Bundeswehr in einem Sektor von rund 40 Kilometern Breite und 30 Kilometern Tiefe die Führung über eine multinationale Truppe erhält. Dazu würden, heißt es, rund 2.500 Soldaten benötigt; die Rede ist von einem „kompletten Paket“ inklusive Aufklärung, Spezialkräften und schwerer Bewaffnung, darunter Panzerhaubitzen und Radpanzer vom Typ „Boxer“. Auch Luftunterstützung soll geleistet werden: Neben den Tornado-Aufklärungsfliegern stünden dazu Eurofighter-Kampfjets zur Verfügung, heißt es. Klar sei, dass die Bundeswehr, sollte es doch noch zu dem Einsatz kommen, ein „robustes“ Mandat benötige, äußert Ischinger: „Unsere Soldaten müssen schießen dürfen, wenn sie bedroht werden. Ohne Wenn und Aber, und notfalls auch bevor man selbst beschossen wird.“
Ein Nationaler Sicherheitsrat
Ischinger dringt zudem darauf, auch jenseits der Frage, ob es noch zu einer Intervention in Syrien kommt, die Aufrüstung der Bundeswehr mit aller Macht voranzutreiben. Die Forderung, den Militärhaushalt auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, solle „nur der Anfang der Debatte“ sein, erklärt der einflussreiche Diplomat: Zwar gehe es aktuell „nicht um einen Dritten Weltkrieg“; dennoch gebe es „in dieser neuen Welt Gefahren …, auf die man reagieren können muss, notfalls auch mit militärischen Mitteln“. Um dies leisten zu können, müssten in der EU „Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik“ eingeführt werden; in der Bundesrepublik müsse der Parlamentsvorbehalt „angepasst werden“. Darüber hinaus gelte es, den Bundessicherheitsrat systematisch zu nutzen und ihn mit einem „angemessenen professionellen Unterbau“ zu versehen. Damit schließt sich Ischinger, ohne den Begriff zu erwähnen, der Forderung nach Schaffung eines deutschen Nationalen Sicherheitsrats an (german-foreign-policy.com berichtete).
Der Rückzug der US-Truppen aus Nordsyrien hat jedoch einen Haken. Die USA wollen 700 ihrer bisher in Nordsyrien stationierten Soldaten in den Westirak verlegen, um angeblich die Ölfelder gegen den IS zu sichern. Das teile Verteidigungsminister Mark Esper mit. Diesen Plan habe er bereits mit der irakischen Regierung abgestimmt. Zwischen 200 und 300 US-Soldaten sollen demnach im südsyrischen Stützpunkt in Al-Tanf verbleiben. In Wirklichkeit wollen sie die Ölfelder in der Provinz Deir Essor besetzen, um so das Assad-Regime zu schwächen, da sie mit einem Regime-Change gescheitert sind.
Hier könnt ihr weiterlesen
https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-usa-oelfelder-103.html