Die Aufstände in den USA sind die heimische Ernte des imperialen Rassismus, der das Virus im Kampf um die Weltherrschaft nutzt. Das rassistische Erbe ist europäisch.

Die gelbe Gefahr und der Atem der Schwarzen
Gast-Kommentar von Hans-Rüdiger Minow

Seitdem in Europa das Virus umgeht, müssen sich Menschen, die asiatisch anmuten, vor den anderen hüten, die europäisch aussehen. Asiatische Herkunft deutet auf Orte, deren Nähe zur Seuche zwar unbestimmt ist, aber weil man nicht weiß, wo der andere herkommt, ist er als Typus physiognomisch verdächtig. Wie Menschen berichten, die asiatisch aussehen, schneidet man sie, rückt in Bussen und Zügen von ihnen ab, umgeht sie in Parks oder ruft ihnen nach, sie sollten verschwinden. Wer besonderes Pech hat, wird auch bespuckt. Abstand zu halten reicht hier nicht aus. Um den asiatischen Fremden entsteht ein Zone aus gefahrvoller Leere und Ungewissheit. Diese Entlassung aus dem Berühren hat als einer der ersten Donald Trump stimuliert. Er hat der Furcht vor dem Fremden einen Ort zugewiesen, hat ihn „China“ genannt und das Virus „chinesisch“. Aber jetzt ist der Geist aus der Flasche entwichen, der den asiatischen Gegner verunglimpfen sollte. Dieser Geist ist im Gebiet seiner Herkunft aktiv und drückt auf dem Atem der früheren Sklaven – in New York und Chicago. Es ist imperialer Rassismus der Kolonialhemisphäre. Er hat „China“ gesagt und die Wut seiner Opfer in Brooklyn geerntet.

Genetisches Stigma

Zwar war von Anfang an klar, dass die Angst vor der Seuche politisch besetzt und benutzt werden sollte, um gegen China ein Brandmal zu schlagen, doch statt den Nutzen zu meiden, hat die Mehrzahl der Medien, besonders in Deutschland, die politische Absicht für diskutabel erklärt und den Typus des Virus, sein genetisches Stigma, als asiatisch verbürgt. „China, das uns die Krankheit schickte“, heißt es in einer für seriös gehaltenen deutschen Publikation (t-online.de, 26.05.20).

Mehrwertgewinn

Die ethnische Prägung der Krankheitsgefahr erleichtert der Angst, nach Bildern zu suchen – Bilder, die Ort und den Typus des chinesischen Fremden (und aller anderen Fremdartigkeit) klischeehaft umreißen. Das Bildreservoir schließt an Geschichte und den Herrschaftsgewinn von Verzerrungen an, die entmenschlichte Wesen als Erniedrigte zeigen. Wie das Bild von den „Negern“ in Affengestalt sind es die Bilder von chinesischen Kulis in europäischen Diensten: oftmals gefesselt oder tierisch verkümmert, ihren Herren ergeben. Es ist das Bild, das Rassisten für den Mehrwert verwenden, der ihrer inneren Schwäche aus dem Hochmut zufließt – und ihrem Profit aus dem Markt und der Arbeit der Sklaven. Die verzerrte Erscheinung des chinesischen Fremden ist ein Rassekonstrukt und im preußischen Deutschland fest etabliert, genau wie das Zerrbild vom „Neger“.

Waffen und Krieg

Dass dieser Rassismus wie ein Treiber fungierte, als der verkümmerte Kuli seine Fesseln abriss und deutsche Soldaten in China einfielen (um ihr Selbst und den Mehrwert zu sichern), lässt sich nicht als Exzess kolonialer Begierden des Kaisers abtun. Schon bevor man Chinesen die Köpfe abschlug, verdiente der Kurfürst von Brandenburg am Sklavenexport von afrikanischen „Negern“. Nachdem der Kaiser abtreten musste, setzte auch Weimar auf rassistischen Mehrwert, auf Waffen und Krieg: sobald es Chinesen gegen andere Chinesen aufrüsten konnte und daran verdiente. Die Kolonialrassisten der Kaiserzeit, demokratisch gewendet, reisten nach China, um die alten Beziehungen neu zu vermarkten: für deutsche Panzerspähwagen, Maschinengewehre und Artillerie (Rheinmetall, Krupp). Die Militärpensionäre des Weltkriegsgemetzels organisierten vor Ort den bewaffneten Kampf, um die Aufstandsbewegung der entfesselten Kulis niederzuschlagen (Seeckt, Falkenhausen, Wetzell, Kriebel). Es waren dieselben, die dem deutschen Faschismus in der Weimarer Zeit die Steigbügel hielten.

Ostexpansion

Mt dem deutschen Faschismus wird das Rassekonstrukt totalisiert. Es erweitert den Nutzen als fanatische Triebkraft, mit der das Herrschaftskalkül seine Garden antreibt, und entwirft in dem Bild, das den Fremden darstellt, das versteckte Gesicht der klassenbereinigten Rassegemeinschaft – nur seitenverkehrt. Den Juden und Slawen, den Schwarzen und Gelben muss das Deutschtum entwerten, um bedrohlichen Zweifeln an dem eigenen Wert Gestalt zu verleihen und diese Gestalten danach zu vernichten. In den Nazi-Fantasmen vom verjudeten Slawen mit asiatischem Tross wird der Typus der Gegner aus historischen Schlachten neu inszeniert: die mongolische Horde, die bis Preußen vordrang, die heidnischen Slawen, die der Deutschritterorden mit dem Schwert missionierte. In der Neuinszenierung des faschistischen Deutschland behält das Herrschaftssymbol der Ostexpansion, das christliche Kreuz des Deutschritterordens, seine alte Bedeutung. Als „Eisernes Kreuz“ schmückt es die Helden der Wehrmachtsverbände, die dem slawischen Gegner samt asiatischem Tross Benehmen beibringen: die totale Vernichtung. Als Hoheitszeichen der Bundeswehr ist der Subtext geblieben.

Wiederbewaffnung

Nichts drückt die Deckkraft des rassistischen Erbes deutlicher aus als das Bildreservoir deutscher Nachkriegskampagnen gegen Feinde im „Osten“ und „Termiten“ in China. Es ist die Wiederauflage des Rassekonstrukts, das 10 Jahre zuvor die Bevölkerung Polens zu Sklaven erklärte und die asiatischen Züge von Sowjetsoldaten zu Fratzen verzerrte. Über 3 Millionen Gefangene der Roten Armee waren in Lagern der Wehrmacht verendet, bevor sie als Zombies projektiver Fantasmen auf Werbeplakaten für die Wiederbewaffnung (im westlichen Deutschland) verunstaltet wurden: Die Russen kommen. Erneut dominierte die asiatische Herkunft, während das Bild der amerikanischen „Neger“ in ihrer Funktion als Besatzungssoldaten zwischen Onkel Toms Hütte und Leni Riefenstahl schwankte (Mein Afrika, 1982): Entweder Sklave der netteren Art oder ursprünglich wild.

Imperial

Der koloniale Rassismus, der Chinesen als „gelb“ und „gefährlich“ darstellt, hat die (west-)deutsche Presse bereits früh inspiriert (Der Spiegel 1978: Die gelbe Gefahr)und muss Angst evozieren, seitdem er politisch neu ausgeschmückt wird (Der Spiegel 2007: Die gelben Spione), um in der jetzigen Phase von Rivalität und Konfrontation das Virus zu nutzen, das uns „China“ geschickt hat (Der Spiegel 2020: Corona-Virus – Made in China). Das koloniale Fantasma wird weiterentwickelt und weltweit platziert (Untertitel: Wenn die Globalisierung zur tödlichen Gefahr wird). Es gehorcht dem Bedarf, den Donald Trump stimulierte, und begründet den Kampf zwischen Leben und Tod, den „Kulturwiderstand“ gegen Schmutz und Infekte, gegen Schwarze und Gelbe sowie gegen Gegner, die ein Gastdiplomat der Bundesregierung kürzlich „Bestien“ genannt hat (Handelsblatt, 26.05.2020): die „Bestien“ um „Putin“, die Slawen im Osten – das ist Rassimus in seinem brüllenden Stadium: imperial.

Ergänzungsbereit

Der Geist aus der Flasche, der den asiatischen Gegner verunglimpfen sollte und jetzt das Atmen der Schwarzen in Brooklyn erdrückt, ist der Geist des Imperiums. Es ist der Geist, den Rassisten für jenen Mehrwert verwenden, der ihrer inneren Schwäche aus dem Hochmut zufließt – und ihrem Profit aus dem Markt und der Arbeit des Südens. Was den Geist des Imperiums in Europa angeht, so führt er zum Tod von tausenden Menschen, die oft ähnlich aussehen wie George Floyd, der Erstickte, und die im Mittelmeer sterben. Der Protest der EU ist verlogen. Was Deutschland betrifft, so weht dieser Geist über Sinophobie und Antislawismus – dem historischen Drang Richtung Osten. Er meint Russland und China. Er ist grundsätzlich offen und in jederlei Hinsicht ergänzungsbereit.

Quelle: german-foreign