Testmobilmachung gen Osten (II)

Bundeswehr und US-Streitkräfte bereiten sich auf NATO-Großmanöver gegen Russland Anfang 2020 vor – Tausende Soldaten und Fahrzeuge passieren die BRD

 

BERLIN/WASHINGTON (german-foreign Bericht) – Die US-Streitkräfte werden im kommenden Jahr bei ihrem größten Manöver in Europa seit 25 Jahren umfassend die zivile Infrastruktur der Bundesrepublik nutzen. Die Kriegsübung („Defender Europe 20“) probt die Verlegung von US-Truppen in Divisionsstärke aus den Vereinigten Staaten in Richtung Russland. Dabei werden nicht nur zahlreiche Bundeswehrstandorte in die Kriegslogistik eingebunden, sondern auch Häfen (Bremerhaven, Duisburg), Flughäfen (Hamburg, Frankfurt am Main) sowie Schienen und Straßen. Die Deutsche Bahn hat im Vorfeld des Manövers eigens zusätzliche Schwerlastwaggons angeschafft. Damit gehen die Unterstützungsleistungen der Bundesrepublik weit über die bisher öffentlich bekannten drei „Convoy Support Center“ in Garlstedt, Burg und Oberlausitz sowie die Großtankstelle in Bergen hinaus. Auch die Routen, auf denen US-Militärs an potenzielle Kriegsschauplätze im Osten verlegt werden sollen, sind jetzt in groben Zügen bekannt. In US-Militärkreisen ist von einem „Schlachtfeldnetzwerk“ die Rede, „das im Falle eines Konfliktes für alle NATO-Verbündeten nützlich ist“.

US-Rekordmanöver

Im Rahmen der Operation Atlantic Resolve (OAR), die kontinuierliche Kriegsübungen von US-Einheiten in Ost- und Südosteuropa umfasst, sind US-Truppenverlegungen durch Deutschland längst zur Routine geworden (german-foreign-policy berichtete [1]). Auf das dabei erlangte praktische Wissen bauen die USA und ihre Verbündeten in Europa nun auf, wenn sie im Februar den nächsten Schritt in Sachen Kriegsvorbereitung starten. Wurden in den vergangenen Jahren mit den OAR-Rotationen alle neun Monate Brigaden mit rund 4.000 Soldaten über den Atlantik verlegt, so probt der NATO-Machtblock im nächsten Jahr mit Defender Europe 20 erstmals seit dem Kalten Krieg die transatlantische Mobilmachung im Divisionsmaßstab. 20.000 US-Soldaten werden für die Militärübung nach Europa kommen und auf ihre ohnehin schon hier stationierten Kameraden sowie die Streitkräfte der beteiligten europäischen Staaten treffen. Insgesamt rund 37.000 Soldaten aus den USA und Europa nehmen an Defender Europe 20 teil.[2] Nach Angaben der U.S. Army Europe handelt es sich um das größte US-Manöver in Europa seit über 25 Jahren.[3]

Auf zwölf Routen Richtung Russland

Offizieller Übungszeitraum sind April und Mai 2020. Mit Truppenbewegungen ist laut Angaben der U.S. Army Europe jedoch schon ab Februar und noch bis in den Juli hinein zu rechnen.[4] Die US-Streitkräfte werden zunächst per Schiff über den Atlantik nach Europa kommen. Dann werden sie mit Unterstützung vor allem auch der Bundeswehr auf zwölf unterschiedlichen Routen weiter Richtung Russland verlegen. Ein Teil von ihnen wird direkt per Schiff durch die Ostsee ins Baltikum transportiert. Der Rest wird in Belgien, den Niederlanden, Frankreich oder Deutschland anlegen und von dort per Flugzeug, Lkw, Güterzug oder Binnenschiff weiterfahren. Einige werden Deutschland in Richtung Polen durchqueren und von dort zum Teil weiter ins Baltikum gelangen. Andere wiederum werden Deutschland auf dem Weg nach Georgien passieren.[5] Defender Europe 20 findet in zehn Staaten statt, wobei der räumliche Schwerpunkt nach Angaben der Bundesregierung in Polen und den Baltischen Staaten liegen wird.[6] Insgesamt 18 Staaten werden an dem Manöver teilnehmen.

Zivile Militärlogistik

Die Bundeswehr unterstützt die U.S. Army beim Durchmarsch durch Deutschland im Rahmen des sogenannten Host Nation Support, der vertraglich festgelegten Unterstützung für verbündete Streitkräfte bei deren Aufenthalt in der Bundesrepublik, die im Aufgabenbereich der Streitkräftebasis liegt. Soweit öffentlich bekannt, stehen den US-Truppen mindestens 13 Bundeswehrstandorte unterstützend zur Seite, unter anderem Rheindahlen, Augustdorf, Burg, Lehnin, Oberlausitz, Garlstedt, Stadtallendorf, Frankenberg (Sachsen) und Bergen. Hinzu kommen US-Liegenschaften in der Bundesrepublik, unter anderem die Ramstein Air Base. Über die Militärstandorte hinaus werden für Defender Europe 20 auch Teile der zivilen Infrastruktur der Bundesrepublik in die transatlantische Militärlogistik eingegliedert. Deutsche Häfen (Bremerhaven, Bremen, Duisburg und Krefeld) und Flughäfen (Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main, München, Nürnberg, eventuell Bremen) werden Soldaten und Kriegsgerät umschlagen. Auch über das deutsche Straßen- und Schienennetz werden Militärkonvois rollen: von Westen nach Osten auf der Route Düsseldorf-Hannover-Magdeburg-Frankfurt an der Oder bzw. Düsseldorf-Mannheim-Nürnberg-Dresden-Görlitz; von Norden nach Süden ist die Route Bremerhaven-Hannover-Frankfurt-Mannheim eingeplant.

Drehscheibe Deutschland

Defender Europe 20 wird für die Bundesrepublik eine Gelegenheit, ihrem Anspruch Nachdruck zu verleihen, eine strategische Position als logistische Drehscheibe im Konflikt der NATO mit Russland einzunehmen. Die unter anderem dafür aufgebauten militärischen Strukturen kann Berlin nun gleichermaßen zur Schau stellen, testen und weiter in den Militärapparat des NATO-Machtblocks integrieren. Defender Europe 20 ist dabei nicht nur ein Probelauf, sondern steigert darüber hinaus die militärische Einsatzbereitschaft auf beiden Seiten des Atlantiks. So teilen beispielsweise die Logistiker der Bundeswehr mit, sie könnten in Zukunft ohne Probleme US-Panzer transportieren: Kriegs- und Transportmaterial sind erfasst und aufeinander abgestimmt; die für Defender Europe 20 ausgestellten Zertifikate bleiben auch über das Manöver hinaus gültig.[7] Die Deutsche Bahn hat im Vorfeld der Kriegsübung zusätzliche Schwerlastwaggons angeschafft.[8] Während der Übung können Bundeswehr und verbündete Armeen auf einen erst dieses Jahr geschlossenen Vertrag zwischen Bahn und Bundeswehr zurückgreifen. Kernelement dieses 100 Millionen Euro umfassenden Abkommens ist das Bereitstellen von Transportkapazitäten der Deutschen Bahn AG für mehr als 1.300 jährliche Militärtransporte, auch an den und über die Grenzen der Bundesrepublik. Teil des Deals sind noch dazu Vorfahrtsonderrechte für das Militär: Die Züge der Bundeswehr haben Vorrang vor zivilem Personenzugverkehr. Auch das noch im Aufbau befindliche Joint Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm wird von Defender Europe 20 profitieren.[9] Das zukünftige NATO-Hauptquartier zur Optimierung von Truppentransporten – die Schaltzentrale der Drehscheibe Deutschland – wird bei einer an Defender Europe 20 angegliederten Übung die Chance bekommen, erste Erfahrungen zu sammeln.

Ein Schlachtfeldnetzwerk

Hintergrund des Manövers ist der Konfrontationskurs der Staaten von NATO und EU gegenüber Russland im Einflusskampf um Osteuropa. Nach Jahrzehnten einer relativen Entspannung setzt der NATO-Machtblock dabei wieder stärker auf militärische Konfrontation. Man müsse bereit sein, in „Konflikten hoher Intensität“ gegen „jeglichen annähernd ebenbürtigen Gegner … mobilzumachen, zu kämpfen und entschieden zu gewinnen“, heißt es etwa bei der U.S. Army Europe.[10] In diesem Sinne ist auch Defender Europe 20 keine reine Logistikübung. Nicht zuletzt durch das Einbinden sieben weiterer Militärübungen in Europa in das Übungsszenario soll, wie es in Militärkreisen heißt, ein „Schlachtfeldnetzwerk aufgebaut werden, das im Falle eines Konfliktes für alle NATO-Verbündeten nützlich ist“.[11] So wird es neben den Truppenverlegungen auch Gefechtsübungen an unterschiedlichen Orten geben, etwa in Grafenwöhr. Über logistische Unterstützung hinaus wird die Bundeswehr bei Defender Europe 20 „Kampf, Kampfunterstützung und Führung – in Deutschland, Polen und Litauen“ proben, wie aus der Aufgabenbeschreibung hervorgeht, die dem Verteidigungsausschuss des Bundestags vorliegt.[12] Die Bundesrepublik bereitet damit ihre zivile wie militärische Infrastruktur nicht nur auf Truppenverlegungen, sondern auf einen heißen Krieg mit Russland vor.

Quelle: Originaltext von german-foreign