Wider das Vergessen

Unter diesem Motto führt die Friedensinitiative Bruchsal am Samstag, den 9.11.19, von 15-16.30h Interessierte an Plätze in der Stadt, die Zeugnisse für den Nationalsozialismus und seine Gräuel in Bruchsal sind. Treffpunkt: Vor dem Rathauseingang. Im Anschluß daran wird ab 17h am Platz der ehemaligen Synagoge in der Friedrichstraße eine Gedenkveranstaltung stattfinden, mit der an die Zerstörung der Synagoge vor 81 Jahren durch die Nationalsozialisten erinnert wird.

 

 

 

Rede zur Gedenkfeier „Reichspogromnacht“ 9.11.2019

– Dr. Rüdiger Czolk

 

Liebe Anwesende,

 

heute wollen wir an die Nacht vom 9. auf 10. November vor 81 Jahren erinnern. Die sogenannte Reichspogromnacht. Pogrom bedeutet Verwüstung. Ich verwende bewusst nicht, den Begriff „Reichskristallnacht“ aus der Nazi-Propaganda.

Stellen Sie sich folgendes vor:

Es ist 3 Uhr in der Nacht des 10. November 1938. [1] NSDAP-Partei-Mitglieder, SA- und SS-Männer treffen sich im Gasthof „Grüner Baum“ in Bruchsal, um letzte Details zu besprechen. Dann machen sich ein 37-jähriger Truppenführer der SA aus Bruchsal und ein 39-jähriger SA-Mann aus Untergrombach mit ihren Kumpanen auf und schleppen Benzin in Kannen und Eimern zur Synagoge, die hier an dieser Stelle stand. Einer steigt durch ein Fenster in die Synagoge, öffnet von innen die Tür und gießt das Benzin in die untersten Räume. Gleichzeitig dringen die übrigen Mittäter ein und verteilen an allen brennbaren Punkten der Synagoge Benzin. Ein Streichholz wird entflammt. Die Synagoge brennt zwischen 4.30 Uhr und 6 Uhr bis auf die Grundmauern nieder. Die Feuerwehr, die heute noch hier ihr Domizil hat, hat damals auf Befehl nicht eingegriffen, obwohl sie es hätte tun können.

Dies ist ein Beispiel für den Rassismus und Antisemitismus der Nationalsozialisten.

Lange herrschte hierzulande die Meinung, dass dieser sogenannte „klassische Antisemitismus“, der sich auf rassische und religiöse Vorstellungen stützt, in Deutschland nicht mehr allzu weit verbreitet sei.

Nach dem tödlichen Terroranschlag von Halle vor ein paar Wochen mit einem rechtsextremistischen Hintergrund beginnt jetzt eine Diskussion, die von einem Wiedererstarken des Antisemitismus spricht. Doch der Antisemitismus war nie weg aus Deutschland. 

Der sogenannte „sekundäre Antisemitismus“, bei dem es vor allem um die Relativierung des Holocaust geht, und der Israel-bezogene Antisemitismus sind in Deutschland weit verbreitet. Laut Umfragen vertreten zwischen 25 bis 40 Prozent der Befragten solche Ansichten.

Wie kommt es dazu? Die Sozialpsychologin Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein erklärt, dahinter stecke eine Täter-Opfer-Umkehr und der Versuch, die eigene Schuld zu relativieren. Ich zitiere aus einem Beitrag des Deutschlandfunks vom 10.10.19 mit dem Titel „Warum der Antisemitismus nie weg war“ [2]:

„Indem ich den Opfern Mitschuld zuweise oder sage: ‚Juden benehmen sich auch nicht immer so super‘, werden also die Opfer zu Tätern gemacht und gleichzeitig werden die Nachkommen der Täter etwas weniger zu Tätern und fühlen sich auch als Opfer. Forderungen nach einem Schlussstrich sind typisch. Oder Ärger darüber, dass den Deutschen immer noch die Verbrechen an den Juden vorgeworfen werden.

Also plötzlich ist man selber in der Opferposition und muss sich gar nicht mehr mit der eigenen Verantwortung beschäftigen.“

Oder wie es etwas markanter der israelische Psychoanalytiker Zvi Rix formuliert hat: „Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen!“.

Vielleicht ist aber dieser Antisemitismus doch ein „importiertes Problem“?

Angespielt wird bei solchen Äußerungen auf Flüchtende aus arabischen Staaten, die bei uns einen sicheren Platz gefunden haben. Hier möchte ich noch einmal Beate Küpper zitieren:

„Wenn die Debatte zu sehr um das Thema ‚Antisemitismus aus der Einwanderungsgesellschaft‘ kreist, dann besteht die große Versuchung, das Thema von der deutschen Mehrheitsbevölkerung abzuwälzen und zu instrumentalisieren, um Neueingewanderte verantwortlich zu machen.“

Der Franzose Karim Amellal, früherer Berater von Emanuel Macron meint: „Mir kommt es so vor, als würde in Deutschland die Gefahr des islamistischen Terrorismus überschätzt – die aus dem rechtsextremen Lager aber unterschätzt.“

In einem Zeit-Online-Artikel vom 11.10.19 mit dem Titel „Der schuldabwehrende Antisemitismus hat zugenommen“ [3] erklärt der Rechtsextremismusexperte Matthias Quent, was Judenfeindlichkeit so populär macht.

Diese wird als Projektionsfläche für Probleme benutzt. Statt zu sagen, es gibt komplexe Zusammenhänge in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die Probleme schaffen, sagt man, hier gibt es eine böse Macht, die sorgt gesteuert für Schwierigkeiten, beispielsweise für Migration.

Wie aber damit umgehen?

Der Präsident des Dachverbands der jüdischen Institutionen in Frankreich, des CRIF. Françis Kalifat bemerkte dazu im vergangenen Februar: „Es brauche ein landesweites Aufbegehren gegen den Antisemitismus. Denn er bedroht nicht nur die jüdischen Bürger, sondern ist auch ein Signal für die geschwächte Demokratie in unserem Land.“

Dies gilt nicht nur für Frankreich sondern auch für unser Land.

Setzen wir den Allmachts- und Ohnmachtsphantasien von vor allem jungen weißen Männern, die Waffennarren sind und über ein hermetisch geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügen, eine bunte, weltoffene und respektvolle Idee entgegen, die Artikel 1 der Menschenrechte beherzigt: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Enden möchte ich mit einem Zeitzeugenbericht, der erzählt, was sich nach der Pogromnacht in Bruchsal ereignete.

Hans Schmitt aus Bruchsal erinnert sich wie folgt:

„Vom Synagogenbrand ist mir folgendes Erlebnis unauslöschlich im Gedächtnis geblieben: Ich hatte an diesem Morgen bei unserem Kaplan Pius Burger in der Frühmesse zu dienen. Nach dem Gottesdienst sagte er zu mir: ‚Hans, komm wir gehen mal zur Synagoge und schauen, was da los ist!‘. Als wir hinkamen sahen wir, dass sie lichterloh brannte. Wir standen in der Nähe eines Hydranten, an welchem sich ein Feuerwehrmann zu schaffen machte. Da kam der Rabbiner gelaufen. Ich erkannte ihn an seinem Bart. Er ging zu dem Feuerwehrmann und bat mit flehender Stimme: ‚So spritzen Sie doch endlich!‘. Der antwortete: ‚Wir haben kein Wasser.‘. Das stimmte aber gar nicht. Da packte mich unser Kaplan am Arm und sagte zu mir: ‚Hans, so geht es uns auch einmal!‘.“

Gut dass Sie heute hier sind und Miteinstehen für unsere demokratischen Rechte und eine menschenfreundliche Gesellschaft.

Vielen Dank für Ihr Zuhören.

Quellen:

  1. https://landfunker.de/bruchsal-synagoge-bruchsal/
  2. https://www.deutschlandfunk.de/nach-dem-anschlag-in-halle-warum-der-antisemitismus-nie-weg.724.de.html?dram:article_id=460747
  3. https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-10/antisemitismus-halle-rechtsextremismus-matthias-quent/komplettansicht

Diese Rede wurde nicht gehalten (HansJR.)

 

 

Einige von Ihnen fragen sich sicherlich,warum stehen wir hier eigentlich seit 30 Jahren jedes Jahr und gedenken an die Reichspogromnacht und das Niederfackeln der Synagogen in der ganzen Republik. Berthold Brecht hat einmal gesagt: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das Kroch“.

Und leider hat es sich bestätigt. Jetzt kommen sie überall aus ihren Mauselöchern heraus und nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa. Seit längerer Zeit müssen wir beobachten, dass die neofaschistische Szene sich zunehmend aggressiver, bewaffnet und gewaltbereit agiert. Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni war dafür ein deutliches Zeichen. Und dann wieder am 9. Oktober haben Neonazis in Halle erneut ihre Gewaltbereitschaft unter Beweis gestellt. Mit diesen rechtsextremistischen Anschlägen wird uns einmal mehr die Gefahr und Brutalität des Rechtsextremismus vor Augen geführt. Deswegen dürfen wir im Einsatz gegen Rechts nicht nachlassen. Gleichzeitig wird das gesellschaftliche Klima immer rauer; Rassismus und Fremdenfeindlichkeit haben eine Massenbasis gefunden.

Es bleibt die Aufgabe meiner Generation die Erinnerung wachzuhalten. Nazis und ihr Gedankengut sind nicht plötzlich wieder aufgetaucht, sie sind nie weg gewesen.

Nach den Morddrohungen gegen grüne Spitzenpolitiker sieht Innenminister Seehofer eine „Verrohung unserer Gesellschaft“. Die Bestürzung über die Drohungen reicht von den Linken bis zur CSU. Die Behörden melden, sie hätten die Unterzeichner des Drohbriefs im Blick.

Am Wochenende war bekannt geworden, dass Özdemir und Roth von einem als gefährlich eingestuften Rechtsextremisten-Netzwerk mit dem Tode bedroht werden. Die Morddrohungen haben parteiübergreifend Bestürzung ausgelöst.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach in der „Süddeutschen Zeitung“ von einer „hochproblematischen Verrohung unserer Gesellschaft“. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch bezeichnete die Drohungen als „Folge eines vergifteten gesellschaftlichen Klimas“.

Die Erfahrung von Auschwitz, der Kalte Krieg, der Balkankrieg, welchen Faden wir auch immer aufnehmen, hinter der nächsten oder übernächsten Ecke führt er zu einem Massengrab.

In diesen Zeiten zeigt sich, wie wichtig und aktuell die Gedenk- und Erinnerungsarbeit ist! Es gilt, die Lehren aus der Vergangenheit zu bewahren: Nie wieder Faschismus!

Verehrte Anwesende!

»Wir sind zutiefst beschämt, dass nach den ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes rechtsextremistische Ideologie in unserem Land wieder eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervor gebracht hat.

Leider sind die NSU-Morde nicht umfassend aufgeklärt.

Rechtsextreme, Rassisten und verfassungsfeindliche Parteien haben in unserem demokratischen Deutschland keinen Platz. Es ist unsere Aufgabe, dem Vormarsch der extremen Rechten entgegenzutreten, bevor diese weiter an Einfluss und Macht gewinnen.

Wir demonstrieren und treten ein für

  • eine Gesellschaft in der alle, unabhängig von Glaube, Geschlecht, sexueller Orientierung, Herkunft und sozialem Status gleichberechtigt, frei und ohne Angst leben können
  • die Aufnahme und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen, die vor Verfolgung, Krieg, Hunger und Not flüchten
  • das Erinnern an die Verbrechen des NS-Regimes und das Gedenken an dessen Opfer
  • Solidarität mit allen Menschen, die von Armut, Ausgrenzung und Verfolgung bedroht sind
  • die Freiheit von Wissenschaft, Kultur und Medien

Unsere Antworten auf Rassismus, Chauvinismus und Sexismus sind Gerechtigkeit, Wertschätzung, Gleichberechtigung und Solidarität!

Ich möchte mit den Worten des diesjährigen Büchner-Preisträgers Lukas Bärfuss enden, der in seiner Rede darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Zeitzeugen des Faschismus allmählich sterben und es nun an uns sei, Erzählformen zu finden, literarische wie journalistische, um das Erinnern wachzuhalten. Darin stecke die Hoffnung, neue Formen von Faschismus aufhalten zu können

Schwur von Buchenwald (Auszug)

…Wir führten in vielen Sprachen den gleichen harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf, und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen! Noch leben die Mörder unserer Kameraden! Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum!
Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach:
,WIR SCHWÖREN! ,

Buchenwald/Weimar 19.April 1945