Antikriegsreden am 1. September 2019 im Bürgerpark Bruchsal

Ansprache von Ruth Birkle (2.VS ), in Vertretung der OB Petzold-Schick

80 Jahre Beginn Zweiter Weltkrieg,
Begrüßung, Rede zum 1. September 1939,
Bürgerpark, 1.9.2019
Der Sommer 1939 war schön und heiß. Der letzte Krieg gerade 20 Jahre vorüber. Das
nationalsozialistische Deutschland steckte in finanziellen Schwierigkeiten, stand kurz vor
dem Ruin: Es brauchte Expansion, am Ende den Krieg. Menschen, die 1914 als 20-jährige
jubelnd in den Ersten Weltkrieg gezogen waren, hatten 25 Jahre später, am 1. September
1939 einen noch größeren Krieg vor sich. Dieses Mal gab es keinen Jubel, jedoch auch
keinen nennenswerten Widerstand. Die Lüge vom polnischen Angriff rechtfertigte die
Unterstützung des Überfalls auf Polen.

Gescheitert war auch Chamberlains Appeasement Politik von 1938, die Zugeständnisse
an Hitler brachten nicht den ersehnten Frieden: Die Tschechoslowakei war zerschlagen,
Österreich besetzt.
Die Unterstützung der deutschen Bevölkerung in den Jahren von 1933 bis 1939 ist immer
wieder ein Rätsel, wird immer wieder kritisch betrachtet: schließlich gab es zahlreiche
Zwangsmaßnahmen gegenüber der Bevölkerung, Festnahmen, Einschränkungen und
Verbote. Die jüdische Bevölkerung war entrechtet und in vielen Fällen bereits aus dem
Umfeld verschwunden; ebenso KPD- und SPD-Politiker, Wissenschaftler, Künstler oder
Minderheiten wie Zeugen Jehovas, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen.
Einiges war geschehen und umgesetzt, was wir rückblickend als permanente Bedrohung
oder Schikane werten und doch: Die 15 Jahre vorher, die Jahre der Weimarer Republik
von 1918 bis 1933, waren für viele eine herbe Enttäuschung.
Die erste deutsche Republik stand für Inflation und Weltwirtschaftskrise, politische
Kämpfe, gescheiterte Regierungen, Kriegsschuldanerkennung und Reparationsleistungen:
Die kurze kulturelle Blüte war keineswegs auch stabil materiell unterfüttert. Die junge
Republik Weimar hatte außerdem von Anfang an viele Feinde. Verloren hatte die alte Elite
aus dem Kaiserreich, die Verbindung von Thron und Altar war ebenso gescheitert wie die
protestantische Kirche. Dazu kamen paramilitärische Verbände und republikfeindliche
Parteien, die zu gefährlichen Gegnern wurden. Sozialdemokratie und Gewerkschaften
konnten der Kritik und den Schwierigkeiten wenig entgegensetzen. Am Ende brachten
Weltwirtschaftskrise, Produktionsrückgang, Zusammenbruch von Banken und
Unternehmen sowie die hohe Arbeitslosigkeit die Regierung in eine prekäre Lage. Die

SPD entschied sich 1930 zusammen mit den Gewerkschaften, das erste sogenannte
Präsidialkabinett von Heinrich Brüning zu tolerieren.
Es folgten diesem zwei weitere semi-diktatorische Präsidialkabinette mit den
Reichskanzlern Franz von Papen und Kurt von Schleicher, mit denen ein Bruch mit der
Demokratie in Kauf genommen wurde. Sie regierten per Notverordnungen und
beschädigten die schwache Republik weiter, ebenso wie die Aufhebung des SA-Verbots
am 16. Juni 1932. Doch auch die hohe Zahl der Notverordnungen,
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie eine sich erholende Weltwirtschaft ab 1932
verhinderten nicht die Machtübertragung an Hitler.
Unterstützt von Armee, Justiz, Teilen der Beamtenschaft, finanziert von der Industrie und
getragen von den faschistischen Gefühlen der Massen kam Hitler 1933 an die Macht und
die bereits begonnene Arbeitsbeschaffungspolitik vollständig unter rüstungspolitische
Vorzeichen: Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs waren ca. 64 Milliarden RM für die
Rüstung ausgegeben. Für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – die außerdem teilweise der
Aufrüstung dienten – sechs Milliarden RM.
Wenn wir genau hinschauen, müssen wir bemerken: Der Bruch zu Hitler 1933 war für viele
nicht so groß wie heute oft angenommen. Bereits vorher in Weimar eingeführte
Maßnahmen wurden auch unter dem nationalsozialistischen Reichskanzler konsequent
fortgesetzt. Vor allem wichtig waren der neuen Regierung die
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, von denen die Zufriedenheit der Menschen abhing. So
waren anfangs alle Arbeitsmarktregelungen, Steuerprogramme und Investitionshilfen vor
allem daran ausgerichtet, die Arbeitslosigkeit zu senken. Undemokratisches Regieren mit
Notverordnungen war ebenso bereits aus Weimar bekannt wie auch die
Vorfinanzierungsinstrumente, die bereits ab 1932 zur Erholung der Wirtschaft beitrugen.
Auch diese wurden forciert: 1933 wurde die MEFO (Metallurgische
Forschungsgesellschaft, Kapital eine Mio. RM) gegründet, Gesellschafter waren die vier
Rüstungsfirmen Krupp, Siemens, Deutsche Werke (Gutehoffnungshütte) und Rheinmetall.
Mit dieser Scheinfirma wurden MEFO-Wechsel ausgegeben zur Finanzierung der
Rüstungsproduktion.
Im Vergleich zu den Weimarer Jahren fühlten sich die Menschen sicher, sie hatten Arbeit
und eine Regierung, die Deutschland an die Spitze der Welt setzen wollte, die das Heer
wieder aufbaute und die demütigenden Schuldenzahlungen verweigerte. Die Demokratie

war bereits in Weimar zerstört worden und der Primat der Politik der
nationalsozialistischen Ideologie brachte erst einmal Erfolg.
Die Zeit der Arbeitslosigkeit war vorbei: Rüstungsproduktion, Autobahnen, aber auch der
Neubau von Schwimmbädern, Sportstadien oder auch der Ausbau kultureller
Einrichtungen wie Theater schufen Arbeitsplätze. Mit Subventionen und verbilligten
Tickets verdoppelte sich nicht nur die Zahl der Theaterschaffenden, sondern die
Zuschauerzahlen verdreifachten sich. Ein propagandistischer Erfolg, ähnlich auch in der
Filmbranche. Kein Land außer den USA hatte 1939 mehr Kinositzplätze als Deutschland.
Propaganda, Freizeit und Glücksversprechen kamen zusammen. Auch der Freiwillige
Arbeitsdienst, ab 1935 obligatorisch, die Einführung der Wehrpflicht 1935 und zahlreiche
Einstellungen in den Partei- und Staatsapparat senkten die Arbeitslosigkeit weiter. 1936
kamen zu den Olympischen Spielen Gäste aus der ganzen Welt und bewunderten
Deutschland. Kritik an Hitlers Regierung aus dem Ausland war gering, Verständnis und
Toleranz erstaunlich groß. Die Unterstützung reichte bis zur ausbleibenden Reaktion bei
der Besetzung von Österreich und der Annexion der sudetendeutschen Gebiete. Auch die
deutsche Besetzung des restlichen Staatsgebiets der Tschecho-Slowakischen-Republik
im März 1939 führte noch nicht zum Krieg, jedoch zur Garantieerklärung für die
Unabhängigkeit Polens durch England und Frankreich.
Noch hielten die Raubzüge das Reich davon ab, in den Ruin zu schlittern. Doch der Krieg
war nah. Bereits in der Krise von 1936 – es fehlten Devisen und Facharbeiter – gab Hitler
als Ziele vor, dass Armee und Wirtschaft in vier Jahren einsatz- bzw. kriegsfähig sein
sollten. Er setzte auf Autarkie und auf völkische Gemeinschaft, aber auch auf Kooperation
von Staat und Großunternehmen. Unterstützung bekamen diese durch die Arbeitsfront,
Modernisierungsmaßnahmen, Arbeitsdienste und Zwangsarbeit, aber auch durch die
Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft. Zuerst profitierte der einheimische städtische
Handel. Das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der
deutschen Staatsangehörigkeit“ vom Juli 1933 richtete sich gegen die sog. Ostjuden, die
in den Großstädten erfolgreich im Handel tätig waren. Es folgten u.a. Verkaufsverbote, die
Kennzeichnung der Waren als „Deutsches Erzeugnis“ und andere Schikanen sowie 1935
die Nürnberger Gesetze. Am 9. November 1938 brannten nicht nur die Synagogen,
sondern auch 29 Warenhäuser. In Folge kam es außerdem zu weiteren Gesetzen, mit
denen die Juden vor der physischen Vernichtung wirtschaftlich vernichtet wurden. Wieviel
Kapital dadurch dem Reich zur Verfügung stand, ist umstritten: Klar ist jedoch, dass auf
unterschiedlichen Ebenen Konkurrenz ausgeschaltet wurde und Deutschtum aufgewertet.

So waren Entbehrungen, Konsumverzicht und aufgeschobene Versprechen wie z.B. das
Auto für alle, der VW-Käfer, leichter zu ertragen als in Weimar.
Tatsächlich war der eliminatorische Antisemtismus zentral für die Glaubwürdigkeit
nationalsozialistischer Ideologie: Expansion und Konsumverzicht brauchten nicht nur den
Traum von einer besseren Zukunft, sondern auch die Aussöhnung und die
Zusammenarbeit mit dem Großkapital.
Möglicher Widerstand hatte im Vorfeld versagt und war ausgeschaltet. Auch die beiden
großen Kirchen widersetzten sich nicht. Am Ende sprachen auch sie angesichts des
vorgetäuschten Überfalls für den Krieg.
Die Folgen sind bekannt und sie werden auch in Bruchsal immer sichtbar sein. Keine
deutsche Geschichtsschreibung kommt an diesen zwölf Jahren vorbei. Nie und nie wieder
gab es einen Krieg wie diesen, mit weltweiten Folgen, angezettelt vom Land der Dichter
und Denker. Der Traum vom großgermanischen Reich endete mit 60 bis 65 Millionen
Toten. Die Zahlen der Kriegsversehrten, Verletzten und traumatisierten Menschen liegen
sicher um ein Vielfaches höher, sind aber kaum erfasst. Staatlich anerkannte
Kriegsversehrte lebten in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs eineinhalb Millionen Menschen. In der Debatte um die Kriegsschuld und das
unfassbare Grauen der Shoah ging das eigene Leid zwangsläufig unter, die
Traumatisierung der Nachkriegsgenerationen ist bis heute ein Tabuthema.
Wir kommen auch nach 80 Jahren nicht daran vorbei, bei der historischen Analyse zu
erschrecken. Aktuell gibt es viele Bestrebungen, die Welt zu retten: Überlegungen zu
anderen Demokratieformen und kollektivistische Ansätze bis hin zu Autarkie-Forderungen
oder Rufe nach dem Primat der Politik. Es handelt sich dabei um Konzepte, die wir aus
der Zeit von Weimar und aus dem Nationalsozialismus kennen. Auch wenn heute einiges
anders ist: Wir müssen kritisch bleiben und beobachten, wohin die Ideen führen, die bis
heute Anziehungskraft haben, gefährlich waren und werden können.
Der Blick in die Geschichte ist anstrengend und führt zu schlaflosen Nächten. Doch
vielleicht verhilft er uns zu tieferer Einsicht, vielleicht schaffen wir es, mit dem Blick zurück
Gefahren zu erkennen, um nicht alte Fehler zu wiederholen und an einer lebenswerten
Welt für alle zu arbeiten, geschichtsbewusst und demokratisch für Frieden und Freiheit.
Ich wünsche Ihnen und Euch einen schönen Restsonntag und danke fürs Zuhören.

Beginnen wir mit 1918 (Hans Jürgen Rettig, für die Bruchsaler Friedensinitiative)

Nach der deutschen Niederlage 1918 wurde mit den Siegermächten der Versaier Vertrag ausgehandelt. Für die Herrschaftsklicke der Deutschen war dieser Vertrag unakzeptabel. Sie bereiteten umgehend einen Revanchekrieg vor. In kurzer Zeit hatte Deutschland seine alten Märkte zurückerobert. Die Anlaufkredite stammten zu 70 % von den USA. Nach dem Vertrag von Locarno 1925 mit Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland und Belgien, war die deutsch-französische und die deutsch-belgische Grenze festgelegt und garantiert. Aber der deutsche Imperialismus erhielt zum Osten hin freie Hand.

Für Nazi-Deutschland war das willkommen. Es entstand die verbrecherische Theorie der Blitzkriegskonzeption. Danach erfolgte der fieberhafte Aufbau der Wehrmacht. Ende August war die Wehrmacht von 800.000 auf 2,7 Millionen Mann aufgerüstet und nun brauchte es nur noch einen Anlass Polen zu überfallen. Der Sender Gleivicz lieferte das Argument. Den Sender hatten die Deutschen selbst überfallen, so wie sie auch den Reichstag selbst angesteckt hatten und den Kommunisten alles in Schuhe geschoben hatten, um dann die Antimilitaristen aus den Verkehr zu ziehen. Es erfolgte die bekannte Hetzjagt. So hieß es in der Nacht zum 1. September beim Polenfeldzug , ab heutemorgen wird zurückgeschossen. Die Tragödige nahm seinen Lauf. Zur Vorbereitung war bereits am 22.3.1939 Lettland gezwungen worden das Memelland an Deutschland abzugeben. Der Überfall auf Polen wurde binnen weniger Tage zu einem europäischen Krieg und ab 1941 zu einem Weltkrieg.

Zwar hatten sich Frankreich und Großbritannien durch politische und militärische Verträge zum Bestand des polnischen Staates verbürgt, ließen aber Hitler gewähren.

So wurde Warschaus Zentrum die erste Trümmerwüste des Krieges. Die Anfänge des 2. Weltkrieges sind nicht allein in der deutschen, sondern auch in der italienischen und japanischen Geschichte aufzusprüren.

Die Gesamtsumme der im im 2. Weltkrieg umgekommenen wird unterschiedlich mit 60 Millionen angegeben, verschiedentlich auf 80 Millionen geschätzt.

Das Töten und Morden hatte mit dem Sieg der Alliierten ein Ende, jedoch nicht das Sterben, denn noch viele Jahre danach starben Menschen an den Kriegsfolgen.

Unter ihnen, die durch unmittelbare Kriegshandlungen Umgekommenen in den Kämpfen an den Fronten, im Partisanen- und Bombenkrieg, was zu Schätzungen von 50 bis 56 Millionen führte. Dazu kommen die Opfer der Kriegsverbrechen, des Terrors und der Geißelerschießungen, Hungers in den besetzten Gebieten, des Massensterbens in den Lagern der Kriegsgefangenen und der Zwangsarbeiter, sodann die ermordeten europäischen Juden, Sinti und Roma, Kranken und Behinderten und schließlich die in Konzentrationslagern getöteten und nach Gerichtsurteilen hingerichteten Widerstandskämpfer vieler Nationen, Antifaschisten, Nazigegner, Kriegsdienstverweigerer und Homosexuelle.

Nun stehen wir hier an einer Stelle, an der wegen Nichtigkeiten 55 zum Tode verurteilte Menschen durch das Fallbeil nachweislich, während der Nazizeit getötet wurden. Unscheinbar, in einem kleinen Anbau am Militärgefängnis.

Das gesamte Areal im Volksmund Psycha genannt, wurde von der Stadt Bruchsal dem Erdboden gleich gemacht. Zuvor konnte jedoch die Hinrichtungsstätte von aufmerksamen Bürgern dokumentiert werden.

Wir gedenken hier an die Opfer des 2.Weltkrieges, zu denen auch diese 55 Menschen gehören, die wegen Nichtigkeiten per Gerichtsurteil im Dreiminutentakt hingerichtet wurden. Hier hat kein Recht stattgefunden. Hier wütete nichts anderes als der Mord-Terror der braunen Ideologie, getarnt unter der Robe der Gerichtsbarkeit des Rechts. Mind. 10.000 Todesurteile fällten die NS-Sondergerichte, mehr als 5.000 der Volksgerichtshof und 50.000 die Wehrmachtsgerichte. Ein Großteil dieser Mordrichter durften nach dem Krieg dem neuen Rechtsstaat angehören, und genau so eifrig weiter dienen wie zuvor in dem Unrechtsstaat.

Aber eines und das ist mir sehr wichtig gehört auch noch zu der Historie des Bürgerparks und um den Bergfried herum. Auf diesen wenigen Hektar Bruchsaler Stadtmitte konzentrierten sich die letzten 170 Jahre deutscher Geschichte. Für ein Bürgerzentrum wirklich ein historischer und angemessener Boden. Doch im Jahre 1987 ist den Stadtvätern nichts besseres eingefallen, als die Säle dieses Bürgerzentrums nach mittelalterlichen Feudalherren zu benennen.

Während Revolutionäre, wie Brentano, Hecker und Eisenhut und die in Baden geköpften Führer der Bauernaufstände von 1848 oder die geköpften NS-Widerständsler, die noch immer darauf warten angemessen gewürdigt zu werden.

Dieses Anliegen an den Gemeinderat möchten wir hiermit nochmals nach 32 Jahren wiederholen.

(nicht vorgetragen) Abschließend: Der Schwur von Buchenwald:

„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit. Das sind wir unseren ermordeten Kameraden und Angehörigen schuldig.“

Nach dem Verlesen des Schwures von Buchenwald erhoben die Häftlingen ihre Arme und sprachen: „Wir schwören“.

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.

Rede_Ruth Birkle als PDF zum Herunterladen

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