Über den Krieg in der Ukraine

Donnerstag, 7.4.2022

(…) „Ich lade Frau Merkel ein, Butscha zu besuchen und zu sehen, wozu
die Politik der Zugeständnisse an Russland in 14 Jahren geführt hat“,
sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft.

„Alle Russen sind gerade unsere Feinde“, heizt der ukrainische
Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, das Klima an. Er habe
keinerlei russische Freunde und er wolle auch keine haben.

Russland sei für ihn ein „Feindstaat” und werde „wahrscheinlich auch nach dem Krieg, ein Feindstaat bleiben“, sagte er der FAZ.

Diese neue Gnadenlosigkeit ist bereits auf die deutsche
Zivilbevölkerung übergesprungen. „Aufgrund der schweren
Menschenrechtsverletzungen durch den geistesgestörten Putin lehnen wir
grundsätzlich die Behandlung russischer Patienten ab“, schrieb die
Direktorin der Universitätsklinik München in einem offiziellen
Schreiben. Nach Bekanntwerden kassierte die Uni-Leitung diese
Anweisung. Die Selektion an der Klinikpforte findet nicht statt.

Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer aus New
York, ruft den Betreiber einer europäischen Klinikkette an und fordert
ihn auf, seine Kliniken in Russland zu schließen, wissend, dass dies
den Tod von Patienten bedeuten würde. Der CEO verweigert sich.

Wer sich nicht schnell genug vom russischen Präsidenten distanziert,
verliert seinen Job, wie Valery Gergiev, der russische Chefdirigent
der Münchner Philharmoniker.

Wer – wie Merkel – den Dialog mit Putin auch nach
dessen völkerrechtswidriger Krim-Annexion aufrecht erhielt, steht
plötzlich als zwielichtige Type in allen Zeitungen.

Jetzt, wo Krieg herrscht und die heißeste Ware unter der Sonne der
Schützenpanzer ist, wird tabula rasa gemacht mit Gesprächsdiplomatie,
kulturellen Austauschprogrammen und dem Geist der Aussöhnung.

Die evidenzbasierte Auseinandersetzung mit einem jahrelang lustlosen
Nato-Engagement, zu hoher Energieabhängigkeit und den potemkinschen
Dörfern namens Minsk 1 und Minsk 2 geht im Spektakel unter.

Hardliner aller Länder verlangen nach politischer Härte, militärischer
Rüstung und kultureller Polarisierung. Man könnte meinen, der Kalte
Krieg wird als Remake nochmal auf die Bühne geholt. Der Westen will
sich spüren.

Der mediale Wind bläst denen, die zu Maß und Mitte aufrufen, eiskalt
ins Gesicht. Unverhohlen wird nach einer deutschen Kriegsbeteiligung
gerufen.

FAZ-Herausgeber Berthold Kohler spricht vom „Hindernis in den
Köpfen der Politiker, das überwunden werden muss“ und fordert die
Aufrüstung der ukrainischen Soldaten mit “Waffen, mit denen sie in die
Offensive gehen können.“

Stefan Zweig sprach von den „Hasstrommeln”, die geschlagen werden.

Er hat die Grundstimmung vor dem Krieg in seinem Erinnerungsbuch „Die
Welt von Gestern“ trefflich beschrieben:

„Krieg läßt sich mit Vernunft und gerechtem Gefühl nicht
koordinieren. Er braucht einen gesteigerten Zustand des Gefühls,
er braucht Enthusiasmus für die eigene Sache und Hass gegen den
Gegner. “

Fazit: Die Deutschen sollten denselben Fehler nicht zum
dritten Mal begehen. Wir bekämpfen Putin. Aber wir bekämpfen
nicht die russischen Bürger. Im besten Falle wird es später
heißen:

Die Deutschen haben aus ihrer Geschichte gelernt. Diesmal
wurde nicht zurückgehasst.
Quelle: Clemens Ronnefeld