Friedensprozess durch politische Gewalttaten gegen Oppositionelle und ehemalige Guerilleros in Kolumbien gefährdet

Bogotá. Gestern haben in Kolumbien tausende Menschen gegen die Politik der Regierung protestiert. In der Hauptstadt und vielen weiteren Orten gab es Demonstrationen und Straßensperren. Anlass waren der mangelnde Schutz von Aktivisten und die Politik des amtierenden Präsidenten Iván Duque. Die Proteste schließen an die Mobilisierung der Indigenen vor wenigen Wochen an.

In der Nacht auf Dienstag ist erneut ein ehemaliger Kämpfer der demobilisierten Farc-Guerilla umgebracht worden. Das bestätigen Zeugenaussagen aus der Gemeinde Convención im Departement Norte de Santander, in der das Mitglied der Guerilla-Nachfolgepartei Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes (Farc), Dimar Torres, lebte. Bewohner des Dorfes berichteten, dass der zuvor festgenommene Torres von Armeeangehörigen erschossen worden sei. Als sie in das Lager der Armee eindrangen, fanden sie ein frisch ausgehobenes Grab sowie die Leiche des Mannes vor.

Der Senator der Farc-Partei, Carlos Lozado, machte die Tat am Dienstag gegenüber der Presse bekannt. Gleichzeitig verbreitete er über den Kurznachrichtendienst Twitter Beweise, die sowohl den Tod Torres’ als auch die Täterschaft der Armeeangehörigen belegen sollen. Währenddessen bedauerte der Kommandant der zweiten Armeedivision, General Mauricio Moreno, den Vorfall. Da der Tod nicht während einer militärischen Operation verursacht wurde, müsse der Vorfall schnell aufgeklärt werden.

Der Mord an Torres reiht sich in eine immer länger werdende Liste politischer Gewalttaten gegen Oppositionelle und ehemalige Guerilleros in Kolumbien ein. Erst vor einigen Tagen hatte der Tod eines Kleinkindes große Bestürzung ausgelöst. Sowohl Abgeordnete der Farc-Partei als auch unabhängige Stellen forderten die Regierung zu einem effektiven Schutz der ehemaligen Kämpfer der demobilisierten Guerilla auf. Zudem müsse der Staat alle geschehenen Verbrechen umfassend aufklären. Auch Lozado wiederholte erneut die Forderung nach Garantien für die Ex-Kämpfer, die die Waffen nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags am 24. November 2016 abgegeben hatten.

Zudem setzte er die anhaltende Anschlagsserie in den Kontext der Stigmatisierungskampagne von Seiten der Partei Demokratisches Zentrum (Centro Democrático) des Ex-Präsidenten Uribe Vélez und des amtierenden Präsidenten Iván Duque: Diese habe die gesamte Partei sowie diejenigen, die die Waffen abgelegt haben, zur Zielscheibe der „Saboteure des Friedens“ gemacht.

Unter anderem als Reaktion auf die anhaltende Gewalt gegen und die Kriminalisierung von Linken und Oppositionellen riefen über 180 Organisationen für den 25. April zu einem landesweiten Generalstreik auf. Politische Parteien, Gewerkschaften, indigene, kleinbäuerliche und afro-kolumbianische Organisationen, aber auch Studierende, haben Straßen, Plätze und Universitäten besetzt, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Eine der Hauptforderungen ist die Einhaltung des Friedensvertrages und die Verabschiedung wirksamer Maßnahmen zum Schutz sozialer Aktivisten und Oppositioneller.

Seit Duque im August 2018 das Präsidentenamt übernahm, versucht er das Friedensabkommen abzuändern. Zuletzt hatte er sich bemüht, einige maßgebliche Änderungen an der Sonderjustiz für den Frieden (Jurisdicción Especial para la Paz, JEP) durchzusetzen. Der Kongress lehnte diesen Vorstoß jedoch mit einer eindeutigen Mehrheit ab. Nun muss der Senat über die Änderungen abstimmen, was am kommenden Montag geschehen soll. Das andere große Projekt der Amtszeit Duques, der Nationale Entwicklungsplan, ist seitdem blockiert.

Der Generalstreik stellt die erste große Streikbewegung in Kolumbien seit drei Jahren dar. Nachdem 2016 konkrete Abkommen mit der Vorgängerregierung erkämpft werden konnten, wurden diese laut sozialen Organisationen von der Regierung bis heute nicht umgesetzt. Der vom Präsidenten Duque forcierte Nationale Entwicklungsplan stelle vielmehr eine erneute Verschlechterung der Lebensbedingungen der unteren Gesellschaftssektoren in Aussicht. „Es ist der Moment, durch politische Aktion auf den Straßen und Landstraßen eine Einheit aufzubauen. Auf zum Generalstreik, der Bühne des Widerstands und des Kampfes unserer Völker“, so der Aufruf zum Protest.

Quelle: amerika 21