Redebeitrag Friedensinitiative bei der Mahnwache am 24.2.23
Dr. Rüdiger Czolk
„Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine setzt sich leider ohne direkte
Lösungsperspektive fort.“ Das schreibt ein Manager der Commerzbank in
einer Bankmitteilung, die ich diese Woche erhalten habe.
Liebe Anwesende, „ohne direkte Lösungsperspektive“ – das ist eine frustrierende und schreckliche Erkenntnis nach einem Jahr Krieg in der Ukraine. Zumal vor etwa 10 Monaten ein Waffenstillstand und eine friedliche Lösung zum Greifen nahe schien.
Frustrierend deshalb, weil über 8 Mio. Ukrainer:innen auf der Flucht sind, Tausende von Menschen getötet wurden und auch weiterhin getötet werden – nicht nur in der Mehrzahl Soldat:innen sondern auch Zivilisten. Denn die Panzer, die geliefert werden, retten nicht Menschenleben, wie uns unsere Außenministerin weismachen möchte und dreist in Fernsehinterviews behauptet, nein, die Panzer töten zunächsteinmal Menschen.
Wenn das Töten aufhören soll, muss das Schießen enden. Und es muss die Eskalation des Krieges durch immer mehr und immer größere Waffen gestoppt werden.
Schleichend wurde aus der Unterstützung, die von Deutschland seit einem Jahr geleistet wird, nämlich zunächst humanitäre Hilfen, wie z.B. Krankenwagen oder Notstromaggregate, im Laufe der Zeit erstemilitärische Unterstützung mit Waffensystemen zur Verteidigung und Zivilschutz, wie z.B. Flugabwehrsysteme oder Minenräumgeräte, um schlussendlich in einer aktiven Aufrechterhaltung und weiteren Eskalation des Krieges zu münden, und zwar durch die Lieferung von immer zerstörenderen Waffen.
Wo soll das enden? Was kommt nach den Kampfpanzern? Wir werden jetzt schon medial darauf vorbereitet, dass Kampfjets notwendig sind. Die ukrainische Regierung fordert sogar Langstreckenraketen,
Streubomben (die übrigens vom Völkerrecht geächtet sind), ja hinter vorgehaltener Hand sogar taktische Atombomben. Was hat das alles mit Verteidigung zu tun? Wann sagt zu diesen Forderungen
endlich jemand entschieden „Nein!“.
„Ohne direkte Lösungsperspektive“, wie es der Bankmanager formuliert, das ist frustrierend auchdeshalb, weil offensichtlich keine nicht-militärische Lösung – nämlich durch Verhandlungen oder dasEinbinden neutraler Institutionen wie z.B. der OSZE – der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – in Betracht gezogen wird. Ich habe den Eindruck, es geht nur darum, sich zu überbieten, wer die meisten und größten Waffensysteme der Ukraine zur Verfügung stellt.
„Russland darf nicht gewinnen.“ höre ich, oder „Die Ukraine muss siegen.“ Sieger bleiben die Rüstungskonzerne und Handlanger des Todes. Verlierer sind zig Tausende unschuldige Frauen, Kinder und Männer, die getötet werden oder ihr Hab und Gut verlieren und fliehen müssen.
Warum ist das so? Im Business Morning Briefing von Gabor Steingart, ehemaliger Chefredakteur des Handelsblattes, der davon freigesprochen werden kann, ein sog. „Putinversteher“ zu sein, lese ich vor
zwei Tagen: „Wieder haben sich die Großmächte in die Unversöhnlichkeit hineingesteigert.“ Unddie Situation im Ukraine-Krieg erinnert Steingart an den Vietnam-Krieg – jetzt mit umgekehrten Vorzeichen, d.h. die aggressive Großmacht ist nicht die USA sondern Russland. Damals titelte eine Illustrierte – so erinnert sich Steingart – mit folgender Schlagzeile: „Die Großen haben nur gepokert …und die Kleinen sind krepiert!“.
Steingart fragt mit Recht in seinem Beitrag: „Wer sind die Großen? Warum lässt man die Kleinenk repieren?“. Und ich frage weiter:
Wer hat welche Kriegsziele? Geht es um die Selbstverteidigung der Ukraine? Geht es um die Verteidigung unserer Werte? Geht es um die weltpolitische Machtverteilung, bei der die Menschen in der
Ukraine und in Europa Nebensache sind?
Wir werden gerade systematisch vorbereitet mit der Erzählung, dass dem Schwachen der vom Starken überfallen wird, nur mit Waffengewalt geholfen werden kann. Dabei sind gewaltfreier Widerstand –
oder wie es im Falle eines äußeren Angriffs heißt „Soziale Verteidigung“ – bewährte Mittel um Konflikte zu deeskalieren, ja sogar zu beseitigen. Und die Ukraine hat sogar Erfahrung mit solchen nicht-militärischen Methoden der Konfliktlösung: Siehe die sog. Orange Revolution von 2004, wo die Ukrainer:innen durch friedliche Proteste eine Neuwahl erzwungen haben. Oder die Euromaidan-Demonstrationen von 2013, die zunächst auch friedlich waren.
Es steht uns nicht zu, vorzuschlagen, was die Ukrainer:innen machen sollen. Aber wir können unseren Teil für humanitäre Lösungen beisteuern, indem wir z.B. nur humanitäre Hilfen gewähren wie am Anfangdes Krieges. Indem wir Kriegsdienstverweigernden und Deserteur:innen aller Seiten Schutz geben.
Indem wir ein Bündnis fördern, das von beiden Kriegsparteien als Verhandlungsvermittler anerkannt wird, und auf beide Seiten entsprechend Druck ausüben, diesen Weg zu einer Verhandlungslösung zu
beschreiten.
„Der Test für die Politik ist nicht, wie etwas beginnt, sondern wie etwas endet.“ sagt Henry Kissinger, Friedensnobelpreisträger und früherer Außenminister der USA sowie einer der Architekten der Entspannung im Kalten Krieg.
Jeder Krieg hat eine Vorgeschichte, die wir genau anschauen sollten, um zu verstehen, wie eine Lösungsperspektive aussehen kann. So auch dieser Angriffskrieg der russischen Armee auf sein Nachbarland.
Wer etwas zu den Hintergründen erfahren möchte und auch zu möglichen Lösungen, den lädt die Friedensinitiative recht herzlich ein zum Vortrag von Andreas Zumach am kommenden Sonntag,
den 26.2.23 im Vinzentiushaus in Bruchsal, ab 19Uhr.
Herr Zumach ist Journalist und war lange Jahre als Korrespondent bei den Vereinten Nationen in Genftätig. Als profunder Kenner der UN und Gesprächspartner führender Politiker:innen und Diplomat:innen
in West und Ost, wird Herr Zumach Lösungsansätze zur Beendigung des Krieges beleuchten und den Fragen nachgehen, welche Rolle die UNO und Deutschland dabei spielen können, auch ob es ein Ende der Lieferung immer weiterer und potenziell zerstörenderen Waffen gebenkann, oder ob die Lieferungen immer weitergehen werden? Inwieweit die neue nationale Sicherheitsstrategie eine Beendigung oder sogar europaweite Ausdehnung des Krieges herbeiführen könnte, wird Herr Zumach zum Ende seines Vortrags betrachten.