BERLIN/DAMASKUS (German-foreign Bericht) – Die Bundeswehr soll im Norden Syriens intervenieren. Dies verlangen einflussreiche deutsche Politiker im Zusammenhang mit der Forderung von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die europäischen NATO-Staaten sollten in dem Gebiet, mit dessen Eroberung die Türkei vor zwei Wochen begonnen hat, eine Besatzungszone errichten. Die Rede ist von mehreren zehntausend Soldaten. Das eröffnete Berlin eine eventuell langfristige militärische Präsenz auf syrischem Territorium und sicherte Deutschland neue Einflusshebel im Nahen und Mittleren Osten, wo der Westen zuletzt eine Schwächung seiner Stellung gegenüber Moskau hinnehmen musste. Die Stationierung deutscher Soldaten in Nordsyrien brächte außerdem die bereits vor Jahren verkündeten Pläne der Berliner Außenpolitik voran, in der Region nachzurücken und die westlichen Positionen auszubauen, während die Vereinigten Staaten ihre militärischen Kräfte vor allem auf den Machtkampf gegen China fokussieren. Allerdings haben sich am gestrigen Dienstag Moskau und Ankara auf ein Konzept geeinigt, das die militärische Kontrolle über die fraglichen Gebiete zwischen der Türkei und Russland aufteilt.
Eine westliche Besatzungszone
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte am Montag die Einrichtung einer westlichen Besatzungszone in Nordsyrien gefordert. Es gehe um die „Schaffung einer international kontrollierten Sicherheitszone“, erklärte sie; „Ziel“ müsse es sein, die Lage in dem Gebiet, dessen Eroberung die türkische Armee bis zum Beginn einer Feuerpause am vergangenen Donnerstag gestartet hatte, „zu deeskalieren“.Der Plan sei mit den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich abgestimmt und solle am Donnerstag und am Freitag beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister weiter vorangetrieben werden. In Berlin heißt es, es gehe vor allem um die Stationierung von Truppen europäischer NATO-Mitglieder, darunter auch Einheiten der Bundeswehr. Mit Blick auf die Kräfteverhältnisse – die maßgeblichen Absprachen über Syrien sind zuletzt von Russland und der Türkei getroffen worden – kündigte Kramp-Karrenbauer an, „unter Einbeziehung der Türkei und Russlands“ vorgehen zu wollen. Die Ministerin äußerte auch, die Ansiedlung syrischer Flüchtlinge in der Besatzungszone solle möglich sein. Dies ist eines der zentralen Ziele, die Ankara mit seinem Einmarsch in Nordsyrien verfolgt.
Zehntausende Soldaten
Deutsche Politiker hatten bereits zuvor mehrmals gefordert, Truppen aus der EU in Nordsyrien zu stationieren. Unmittelbar nach dem Beginn der türkischen Invasion hatte der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Alexander Graf Lambsdorff, erklärt, nötig sei „eine von Deutschland angestoßene und getriebene EU-Initiative“ zur Errichtung einer „Pufferzone zwischen Syrien und der Türkei“, in der „eine UN-Blauhelm-Mission“ installiert werden solle. Man müsse „so schnell wie möglich“ klären, „wer die Pufferzone in Zukunft verwalten soll, wer dort leben soll und wie groß sie wird“. Wenig später hatte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter verlangt, eine „humanitäre Schutzzone“ unter westlicher Besatzung auf syrischem Territorium zu etablieren. Kiesewetter sprach sich für die Entsendung von 30.000 bis 40.000 Militärs aus den EU-Staaten aus. Er fügte hinzu, „natürlich“ müsse man dabei „bereit sein, … auch die Bundeswehr“ an der Intervention zu beteiligen.
Der Pivot to Asia
Der deutsche Vorstoß folgt unmittelbar auf die Ankündigung der Trump-Administration, die US-Militärpräsenz in Syrien massiv zu reduzieren. Im Grundsatz entspricht dies Washingtons Plan, die eigenen Truppen aus dem Nahen und Mittleren Osten zurückzuholen, um sie in vollem Umfang gegen China in Stellung bringen zu können. Bereits US-Präsident Barack Obama beabsichtigte das und trieb das Vorhaben unter dem Schlagwort „Pivot to Asia“ voran. Einen Rückschlag brachte dann allerdings der Aufstieg des IS, der das US-Militär wieder im Mittleren Osten band. Donald Trump unternimmt nun einen neuen Anlauf. Die Modalitäten seines Vorgehens sind in Washington schwer umstritten. Trump hat nach heftigen Auseinandersetzungen im US-Establishment zugesagt, nicht nur die Stationierung von Truppen bei Al Tanf in der ostsyrischen Wüste aufrechtzuhalten; dort kontrollieren sie die zentrale Straßenverbindung aus Bagdad nach Damaskus sowie weiter in den Libanon, die seit dem Einflussgewinn proiranischer Milizen im Irak und in Syrien prinzipiell für iranische Transporte aller Art offensteht. Der US-Präsident hat nun auch eingewilligt, die in Nordostsyrien liegenden Ölfelder unter der Kontrolle von US-Truppen zu belassen. Die anhaltende – völkerrechtswidrige – US-Besatzung zweier Gebiete in Syrien sichert Washington auf absehbare Zeit eine strategische Präsenz.
Ordnungsmacht im Krisenbogen
Berlin stößt nun nach. Das entspricht dem seit Jahren diskutierten transatlantischen Konzept, nach dem geplanten US-Truppenabzug die Kontrolle über den Nahen und Mittleren Osten sowie über Nordafrika in deutsch-europäische Hände zu legen, um die Hegemonie des Westens zu sichern. Die Absicht fand unter anderem Eingang in ein umfassendes Strategiepapier, das im Herbst 2013 von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gemeinsam mit dem German Marshall Fund of the United States (GMF) unter Einbindung einflussreicher Multiplikatoren nicht zuletzt aus führenden Tages- und Wochenzeitungen erstellt und publiziert wurde. In dem Papier („Neue Macht, neue Verantwortung“ heißt es, die Bundesrepublik solle sich – „besonders dann, wenn es um aufwendige und längerfristige militärische Einsätze geht – in erster Linie auf das zunehmend instabil werdende europäische Umfeld von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Zentralasien“ konzentrieren. Integriert worden ist das Konzept zudem in das Weißbuch der Bundeswehr. Findet sich in dem Dokument mehrfach der Hinweis auf einen „Krisenbogen von Nordafrika über die Sahelzone, das Horn von Afrika, den Nahen und Mittleren Osten bis nach Zentralasien“, so wurden Berliner Regierungsberater im Verlauf der Vorbereitungen für das Weißbuch immer wieder mit Äußerungen zitiert, Deutschland müsse in der Region „ordnungspolitische Verantwortung“ übernehmen; dies liefere die „Gründe dafür, warum wir Streitkräfte haben“.
„In allen Krisen präsent“
Im deutschen Establishment ist das Vorhaben unverändert präsent. Erst kürzlich hieß es in einer führenden deutschen Tageszeitung, der „Korridor“ von Nordafrika bis in den Nahen und Mittleren Osten sei unverändert „durch Terror und Unterdrückung, durch Bürger- und Glaubenskriege gekennzeichnet“. Konflikte und Kriege reichten von der Sahelzone und Libyen über den Sudan und den Jemen bis nach Iran. „In allen Krisen“, hieß es weiter, sei die Bundesrepublik inzwischen „mit diplomatischen Ausgleichsversuchen, mit humanitärer Hilfestellung sowie mitunter mit militärischen und zivilen Sicherheitsbeiträgen beteiligt“. „Weniger Einfluss“ habe Berlin lediglich „auf die Zukunft Syriens“. Ein Einsatz der Bundeswehr in Nordsyrien würde dies ändern. Bislang werden in den deutschen Eliten keine prinzipiellen Einwände geäußert. Medien, die als liberal gelten, üben allenfalls taktische Manöverkritik. So heißt es etwa, es sei ein Fehler, dass die Verteidigungsministerin und nicht Kanzlerin Angela Merkel persönlich „die Öffentlichkeitsarbeit“ für den geplanten Syrien-Einsatz eingeleitet habe; darüber hinaus sei die SPD nicht hinlänglich eingebunden worden. Die Formulierungen sind geeignet, ablehnende Haltungen in der Bevölkerung zu kanalisieren. Der Beitrag mündet freilich in die Behauptung, die Installation einer Besatzungszone in Nordsyrien sei „richtig“.
In letzter Sekunde
Im Hinblick auf ihren Vorstoß zur Schaffung einer westlichen Besatzungszone in Syrien legt die Verteidigungsministerin Wert auf die Feststellung, es handle sich um einen „Impuls und eine politische Initiative von Deutschland“. Tatsächlich tritt die Bundesrepublik, die bislang gegenüber der Öffentlichkeit stets vorgegeben hatte, lediglich an der Seite der USA (Kosovo, Afghanistan) oder Frankreichs (Mali, Krieg gegen den IS) zu operieren, nun erstmals offiziell als militärische Führungsmacht auf. Kramp-Karrenbauers Vorstoß erfolgt gleichsam in letzter Sekunde: Am gestrigen Dienstag haben sich der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdoğan darauf geeinigt, den Abzug der syrisch-kurdischen YPG aus einem 30 Kilometer breiten Landstreifen südlich der syrisch-türkischen Grenze zu erzwingen, um dann die militärische Kontrolle über die betreffenden Gebiete Nordsyriens de facto zwischen Russland und der Türkei aufzuteilen. Wie sich dieses Vorhaben zu einer potenziellen westlichen Besatzungszone verhält, ist nicht klar.
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In der Zwischenzeit haben sich Putin und Erdogan in Sotschi bei ihrem Treffen geeinigt. Die Feuerpause wird verlängert, die Kurden (YPG) ziehen sich zurück und die türkische Pufferzone wird verkleinert. Die von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag geforderte Einrichtung einer westlichen Besatzungszone in Nordsyrien ist nicht mehr Thema. Frankreich und andere EU-Staaten kritisierten den Alleingang von Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Türkei will in der sogenannten Pufferzone Flüchtlinge aus Syrien ansiedeln.